Die Touristen sind zurückgekehrt nach Galápagos, auf die “islas encantadas”, die „verzauberten” Inseln. Schlendern durch die Hauptstraße der größten Stadt Puerto Ayora, zwischen Kunsthandwerk, billigen T-Shirts und hippen Sushi-Restaurants. Lassen sich neben einem schlafenden Seelöwen auf der wackeligen Bank am Straßenrand nieder. Fotografieren die leuchtend roten „Hexenfische“ (Pez brujo) am Fischmarkt, während die daneben stehenden Pelikane ungeduldig darauf warten, dass ein Happen für sie abfällt.
„Wir haben im letzten Monat 15.000 Touristen empfangen“, berichtet Danny Rueda, seit März 2020 Direktor des Nationalparks Galápagos. „Das ist eine große Erleichterung, denn wir müssen alle unsere Einnahmen selbst generieren. In Zeiten von Corona hieß das: Kein Tourismus, kein Geld“. Vor der Pandemie kamen bis zu 25.000 Besucher monatlich; 21 Flüge wöchentlich waren erlaubt. Diese Deckelung, wie auch das Verbot, neue Hotels zu errichten, sorgten dafür, dass das fragile Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur trotz des einträglichen Tourismus’ einigermaßen erhalten blieb.
Vermehrt sich der Mensch, verändert sich die Natur
Denn diese Balance ist stets gefährdet, seit die zunehmende Besiedlung des Archipels in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts begann. Heute leben rund 33.000 Menschen auf den vier bewohnten Inseln, binnen fünfzig Jahren hat sich die Bevölkerung verzehnfacht. Mit den Zuwandern kamen auch die Haus- und Nutztiere, mit unerwünschten Nebeneffekten: die Katzen der Neusiedler fraßen einheimische Vögel, und ihre mit Nahrungsergänzungsmitteln gepäppelten Rinder grasten nun neben den hier einheimischen Riesenschildkröten. Die Schildkröten ernährten sich von den durch die Rinder „gedüngten“ Pflanzen – und waren auf einmal gegen Antibiotika resistent. Und sie verteilten überall die Samen der eingeschleppten Brombeere, deren Ranken nun die hier endemischen Pflanzen überwuchern.
Viele der hier lebenden Menschen kommen ursprünglich vom ecuadorianischen Festland. „Ich bin zwar schon in Galápagos geboren“, erzählt unser junger Taxifahrer, „aber meine Eltern sind aus der Provinz Tungurahua im Hochland hierher ausgewandert.“ Bewohnt sind dennoch nur gut 3% des Territoriums, der Rest der insgesamt 127 Inseln und Inselchen zählt zum Schutzgebiet des Nationalparks. Aber der Mensch hinterlässt auch dort immer deutlicher seine Spuren: Auf dem paradiesisch anmutenden Sandstrand der Tortuga Bay lassen sich bei näherem Hinschauen unzählige Teilchen von blauem, rotem oder weißen Mikroplastik ausmachen, die mittlerweile auch in den Organismen der hier lebenden Tiere in großer Zahl vorkommen.
Schon ohne Pandemie ist die Versorgung der Bevölkerung schwierig
Auf den Inseln Santa Cruz und San Cristóbal, wo die die große Mehrzahl der Bewohner lebt, erhofften sich manche Ecuadorianer und unternehmungslustige Ausländer ein auskömmliches Leben in exotischem Ambiente. Die Gehälter der staatlichen Angestellten auf Galápagos liegen 80% über denen des Festlandes. Viele der Zuwanderer bleiben erst einmal versuchsweise hier, melden sich nicht bei den Behörden an. Aber die Kosten des täglichen Lebens sind hoch. Nur etwa dreißig Prozent der Nahrungsmittel, die die Inseln konsumieren, können sie selbst produzieren, sagt Danny Rueda. Alles andere muss über tausend Kilometer vom Festland importiert werden. „In der Zeit des Lockdowns haben wir alle angefangen, unser eigenes Gemüse anzubauen, weil wir ja von irgendetwas leben mussten“, erinnert sich Samira, die als Touristenführerin für den Nationalpark arbeitet. „Freunde von uns hatten irgendwann gar nichts mehr zu essen, wir haben uns dann zusammengetan, um ihnen zu helfen. Aber es gab auch gegenteilige Effekte – alle zogen auf einmal Tomaten im Garten und verkauften sie, so dass der Marktpreis um die Hälfte fiel!“
Eines der Hauptprobleme aller Siedler ist von jeher die Wasserknappheit. Nur San Cristóbal verfügt über eine Süßwasserquelle. Auf Santa Cruz dagegen fließt nur zwei Stunden am Tag das Nass aus dem Hahn, dann ist Schluss. Das aufgefangene Regenwasser und die vorhandenen Entsalzungsanlagen reichen nicht, um den Bedarf aller Bewohner zu decken. Noch mehr als einen verlässlichen Zugang zu Trinkwasser aber wünschen sich die „Galapageños“ eine bessere Gesundheitsversorgung. „Wenn es auf unserer Insel gleichzeitig zwei Unfälle gibt, kann nur einer davon versorgt werden“, klagt ein Touristenführer. „Ich sage meinen Gästen immer: Genießt Euren Aufenthalt, aber werdet bloß nicht krank!“
Der ewige Ärger mit dem Internet
Auch das Internet ein ständiger Beschwerdepunkt nicht nur der ausländischen Übernachtungsgäste in den teuren Hotels. Nur 41% aller Haushalte verfügen über einen Internetanschluss; bis zu 100$ müssen dafür monatlich bezahlt werden. Das versprochene Glasfaserkabel wird wohl erst in fünf Jahren verlegt. Dies ist nicht nur ein Kommunikations-, sondern auch ein Bildungshemmnis: 33% aller Schüler hatten während der letzten anderthalb Jahre der Pandemie, in denen der Unterricht ausschließlich über virtuelle Kanäle erfolgte, überhaupt keinen Zugang zur Schulbildung. Auch jetzt dürfen sie nur einmal in der Woche wenige Stunden in die Schule gehen – wenn sie Glück haben, denn nicht alle Schulen auf Galapagos haben bisher die Erlaubnis zum Wechselunterricht erhalten.
Seit mehreren Wochen hat es auf den Inseln keinen neuen Corona-Fall mehr gegeben. Selbst bei den Zwölf- bis Fünfzehnjährigen hat die Impfquote inzwischen mehr als 75% erreicht, bei den Erwachsenen liegt sie nahe 100%. Mittlerweile machen ausländische Touristen wieder die Hälfte aller Besucher aus. Aber ein „weiter so wie vor der Pandemie“ wird es nicht geben: „Wir können uns nicht weiter auf den Tourismus als einzige Einkommensquelle stützen“, schreibt Norman Wray Reyes, damals Vorsitzender der regionalen Regierung, in dem unlängst verabschiedeten „Plan Galápagos 2030“. „Wir müssen über neue Formen von Produktion und Konsum nachdenken, um unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln und allem Lebensnotwendigen nachhaltig zu gestalten.“
18. Oktober 2021