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„Wir feiern hier etwas ruhiger“  – Karneval in Misahuallí

Schon gute drei Kilometer vor Puerto Misahuallí stauen sich die Autos an dem Vormittag dieses Sonntags vor Karneval. Ganze Busladungen von Touristen zieht es zum Feiern in das sonst eher beschauliche Städtchen am Rio Napo. Aus Guayaquil kommen sie, aus Quito und der umliegenden Provinz Pichincha, aus dem Hochland um den Chimborazo, wie an den Autokennzeichen unschwer zu erkennen ist. Kleinfamilien mit zwei Kindern auf dem Motorrad, ältere Herrschaften im Taxi, Gruppen von Jugendlichen im offenen Pick-up. Wem es auf der Hauptstraße zu langsam vorangeht, der biegt entnervt nach links ab, quält sich an geparkten Autos vorbei, nimmt die schmalen Schotterwege durch dichtes Grün, vorbei an baufälligen Häuschen. Bis es dann irgendwann wirklich nicht mehr weitergeht, aber da ist der Hauptplatz von Misahuallí schon in der Ferne zu erahnen. 

Sogar aus dem Hochland kommen die Karnevalsbesucher

„Zwei Dollar, dafür können Sie bis sechs Uhr abends hier stehen bleiben!“. Der zahnlose Parkwächter in ausgebleichter Warnweste schlurft herbei und grinst uns freundlich an. Er macht heute das Geschäft seines Lebens, dirigiert vom Straßenrand aus ein Auto nach dem anderen an seinen Parkplatz. Wie viele Leute er heute erwartet? „Oh, viele, sehr viele! Die Leute kommen von weit weg, weil bei uns der Karneval etwas ruhiger gefeiert wird!“ Neben uns macht sich eine Gruppe der Busgesellschaft Santa Teresita („Heilige Teresa“)  bereit für den Gang in die Stadt: Die Gesichter mit Farbe dekoriert, Wasserpistole und die obligatorische Dose mit Sprühschaum fest in der Hand.

Und dann geht es los Richtung Plaza. Links überholen uns zwei kreischende Mädchen mit bereits völlig durchnässter Kleidung. Rechts schenkt ein mexikanisches Restaurant die ersten Cocktails des Tages aus und hofft auf ausländische Touristen, die heute jedoch noch nicht zahlreich sind. Überall auf den Boden liegen die roten, weichstacheligen Schalen der Achiotillo-Frucht (Rambutan), die gerade Saison hat. Das glasige Fruchtinnere ähnelt in Form, Konsistenz und Geschmack einer Litschi, mit der die Pflanze auch verwandt ist. Die vor uns laufende Gruppe hat ganze Rispen der Früchte in der Hand, und ist am Genießen, wie so viele andere hier auch: Ein Biss in die weiche Schale, weg damit, und dann das weiche, weiße Fruchtfleisch lutschen, bis nur noch der dunkelbraune Kern übrig ist.

Maito, Larvenspieße, Ayahuasca-Eis – Feiern heißt vor allem: Essen

Rund um den zentralen Platz des Örtchens spielt bereits die Musik, duften die mit Fisch oder Huhn gefüllten „Maito“-Päckchen aus Bananenblättern, die überall auf den Grillrosten zubereitet werden. Ein Familienvater kauft noch schnell eine Badehose und das aufblasbare Gummitier für den Nachwuchs, und dann geht es weiter, Richtung Fluss. Immer größer wird die Zahl der fliegenden Händler. Waorani-Frauen bieten Schmuck aus geflochtenen Naturfasern und Ohrringe von leuchtend roten Papageienfedern an. In einer offenen Kiste winden sich die dicken Larven des Palmrüsslers; am Spieß gebraten werden sie hier überall zum Verzehr angeboten. Die unter dem Namen „Chontacuro“ bekannte Delikatesse soll angeblich unterstützend bei der Heilung aller möglicher Krankheiten, von COVID bis Arthritis, wirken. Soraya Nevada aus Tena dagegen produziert Speiseeis auf der Basis der Ayahuasca-Liane, das geradezu beängstigend wohlschmeckend ist. Wer allerdings die möglicherweise halluzinogene Wirkung dieser Pflanze scheut, ist wahrscheinlich mit der Sorte „Schoko-Banane“ besser bedient.

Hühnchen, Krabben oder Chontacuro? Die Larven des Palmrüsslers gelten als Delikatesse

Wenn nur die Batterien von Sprühdosen nicht wären! Die Schlachten mit Wasser und Schaum gehören in Ecuador zum Karneval wie in Deutschland die Rosenmontagsumzüge. Die junge Verkäuferin Alejandra hat Schaumflaschen in jeder Größe vor sich aufgebaut, die kleinste für einen Dollar, zwei Riesenflaschen (das für den Nahkampf geeignete Modell „mónstruo y de batalla“) für fünf. Immer schwieriger wird es, beim Flanieren den weißen und bunten Schaumfontänen auszuweichen. Ein kleiner Junge posiert begeistert mit seiner Wasserpistole, traut sich dann aber doch nicht, mich nasszuspritzen. Die meisten Flaneure kommen vorbereitet nach Misahuallí: in alten Kleidern und Flipflops, oder am besten gleich in der Badehose. Womit das Ziel des Ausflugs auch vorgegeben ist: Der Strand am Ufer des Napo. 

Und schließlich die Party am Strand

Dort ist bereits die Bühne für die große Sause am Abend bereitet, schallt die Musik aus den Lautsprechern. Viele Besucher haben längst das mitgebrachte Höckerchen im Sand aufgebaut, die Großmutter auf der Decke installiert, die Bierflaschen geöffnet. Auf dem großen Felsen in der Flussbiegung tummelt sich die Jugend, im flachen Wasser planschen zwischen leergesprühten Dosen die Kleinkinder, die Führer der bunt bemalten Holzboote warten auf Fahrgäste. Uns zieht es erst einmal zurück zu den mexikanischen Cocktails. Von unserem Tisch am Straßenrand sehen wir den Strom der Karnevalsbesucher weiter vorüberziehen. Und genießen, voll von Eindrücken, die Ruhe.

Ruhe vor der Party – am Strand des Napo bei Misahuallí

22. Februar 2023

2 Antworten auf „„Wir feiern hier etwas ruhiger“  – Karneval in Misahuallí“

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