Kerzen hängen wie bunte Trauben tief von der Decke. Stehen dicht an dicht in klapprigen Vitrinen, liegen in abgepackten Bündeln in den Regalen, neben Erstkommunionsschärpen, Plastiktütchen mit geprägten Hostien und Flaschen von Messwein. „Dies ist ein Laden für Zwerge, für große Menschen ist hier kein Platz“, lacht Rosario Neira. Am Morgen um acht hat sie wie an jedem Tag die schweren Holztüren ihres Geschäfts aufgeschlossen, hier ein Regal beiseite geschoben, dort ein vergessenes Papier aufgelesen. Und schon stehen die ersten Kunden auf den Stufen, die zum Verkaufsraum der „Vela Mágica“ hinabführen: „Ein Fünferpäckchen bitte!“. Die in Papier gewickelten weißen Haushaltskerzen gehen für etwas mehr als einen Dollar über den Tresen.
Seit über dreißig Jahren verkauft Rosario („Rosenkranz“) Neira Kerzen in diesem um das Jahr 1800 erbauten kolonialen Haus unweit des Klosters Santo Domingo in Quito. Nicht mehr als 15 Quadratmeter misst das dunkle Lädchen mit dem abgewetzten Fußboden. „Ich habe früher bei einer Behörde gearbeitet, aber dort bekam ich immer nur befristete Arbeitsverträge. Und als mich mein Mann verließ, musste ich ich plötzlich für meine Eltern und meine beiden Kinder sorgen. So habe ich angefangen, Kerzen zu verkaufen; erst später habe ich begonnen, sie auch herzustellen.“
Die praktizierende Katholikin ist im ersten Stock dieses Eckhauses geboren und aufgewachsen und kennt deshalb zahlreiche Anekdoten zu seiner Geschichte. Als die Bewohner des Umlandes von Quito noch in die Stadt zu reiten pflegten, befand sich in diesem Gebäude eine „Centavería“, Unterstand für Esel und Maultiere. Dort konnten die Vierbeiner ausruhen, bis ihre Besitzer mitsamt ihren Einkäufen den Heimweg antraten. Während des Viertage-Krieges zwischen Liberalen und Konservativen im August 1932 war das Zentrum von Quito ein unruhiger Ort; unmittelbar gegenüber dem heutigen Kerzengeschäft befand sich eine Kaserne. Ihr Vater habe deshalb immer behauptet, dass ihn nur die dicken Außenmauern des Hauses dagegen geschützt hätten, während der Unruhen versehentlich von einer Kugel getroffen zu werden, erzählt die Geschäftsfrau.
Die großen Kerzen werden von Hand gezogen und verziert
In dem verwinkelten Lagerraum hinter dem Laden werden die Kerzen heute noch von Hand gezogen. Die an einem kronleuchterförmigen Ring befestigten langen Dochte werden immer wieder in einen großen Bottich mit geschmolzenem Paraffin getaucht, Schicht für Schicht. In einem anderen Gefäß wird Paraffin eingefärbt, um daraus Ornamente zu gießen, mit denen die fertigen weißen Kerzen später dekoriert werden. Knapp eine Stunde braucht ein geübter Kerzenzieher, um eine der mit ausladenden bunten Blättern und Blüten verzierten Prozessionskerzen, das Markenzeichen der „Vela Mágica“, herzustellen.
Diese Kerzen mit dem bunten Blumenschmuck dienen heute vor allem als Dekoration in vielen Kirchen Quitos. Früher wurden sie zahlreich bei unterschiedlichen Prozessionen im Laufe des Kirchenjahres verwendet, insbesondere in der Passions- und Osterzeit. Die schlichteren schweren Altarkerzen, die oft mit dem einem Bild des Jesuskindes oder der Jungfrau Maria verziert sind, werden vor allem auf Bestellung der Kirchengemeinden und Klöster angefertigt. Mit einigen Schulen der Stadt gibt es Vereinbarungen zur klassenweisen Belieferung mit Erstkommunionskerzen im Mai; für die einzelnen Gläubigen hält Rosario Neira Opferlichter in allen Farben bereit.
Unter der Corona-Pandemie haben auch die Kerzenhersteller zu leiden
Ihre beiden Kinder und vier Festangestellte helfen bei Produktion und Verkauf. Mit der Corona-Pandemie und den gestiegenen internationalen Transportkosten ist allerdings die wirtschaftliche Lage auch für die Kerzenhersteller schwieriger geworden. Für eine Tonne Paraffin zahlt die Kleinunternehmerin mittlerweile stolze 2400 US-Dollar anstelle der früheren 1600 aus Vor-Pandemiezeiten. Dies ist auch ein aktuelles Thema der Organisation lateinamerikanischer Kerzenproduzenten ALAFAVE, deren Mitglied Rosario Neira ist, wie sie mit großem Stolz erläutert.
Zum Glück sind sie und ihr Geschäft bekannt in Quito: Wenn zur jährlichen Eröffnung der „Fiestas de Quito“, des Gründungstages der Stadt, Anfang Dezember in der Kirche „La Merced“ ein feierliches Te Deum zelebriert wird, schmücken die Kerzen von Rosario Neira den Altar. Und bei der Amtseinführung des Staatspräsidenten Guillermo Lasso im Mai 2021 lieferte „La Vela Mágica“ an den Präsidentenpalast: „Große weiße Kerzen mit je einem umlaufenden goldenen Faden“. Sie sollen für die Bitte des dem Opus Dei verbundenen Präsidenten um Klarsichtigkeit (claridad) und Fülle (vielleicht auch nur eine gefüllte Staatskasse?) stehen. „Ich bin eine sehr gläubige Frau. Es verschafft mir eine große Befriedigung, zu wissen, dass meine Kerzen auf den Altären der Stadt stehen und so das Licht Jesu in die Welt bringen.“
La Vela Mágica, Ecke Jesús Pereira / Flores unterhalb der Plaza Santo Domingo in Quito, Tel. 02-2580556 und 099 0417 927
12. Januar 2022
Eine Antwort auf „Kerzen für Quito – La Vela Mágica“
Eine nette Geschichte, aber auch ein tolles Lädchen, mit mehreren Mitarbeitenden vielleicht mehr als das!