Mehrfach besuchte der deutsch-österreichisch-amerikanische Zeichner und Autor Ludwig Bemelmans, bekannt vor allem durch seine „Madeline“-Bilderbücher für Kinder, Ecuador. Von der Hafenstadt Guayaquil aus bereiste er im Jahr 1937 gemeinsam mit Frau und Tochter Barbara drei Monate lang das Land. Er lernte Esmeraldas an der Küste, Baños und das östliche Tiefland, vor allem aber Otavalo im bergigen Norden und die Hauptstadt Quito kennen. Darüber berichtete er in der amerikanischen Wochenzeitschrift „New Yorker“ und in der „New York Times“, und er verfasste im Anschluss an seine Reisen insgesamt drei Bücher.
Der in Wien geborene Bemelmans wuchs nach der Trennung seiner Eltern bei seiner deutschen Mutter in Regensburg auf. Regeln und Autoritäten waren ihm von jeher ein Greuel, und so verließ er die Schule schon mit 14 Jahren ohne Abschluss. Nach einer begonnenen Hotellehre, die angeblich in einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit einem Oberkellner endete, schickte seine Mutter den inzwischen Sechzehnjährigen in die USA. In New York fand er zunächst eine Anstellung als Hilfskellner; nach dem ersten Weltkrieg arbeite er sich zum stellvertretenden Manager des Ritz-Carlton hoch. Seine eigentliche Liebe jedoch galt von jeher dem Zeichnen, so dass er 1929 seine lukrative Stellung kündigte und zunächst mehr schlecht als recht als Illustrator und Autor lebte. 1934 erschien sein erstes Kinderbuch „Hansi“; später begann er auch Romane für Erwachsene zu verfassen.
Ein Buch wie eine Sammlung von Karikaturen – bildhaft und auf den Punkt gebracht
Direkt nach seiner ersten Ecuadorreise 1937 veröffentlichte Bemelmans mit „Quito Express“ ein Bilderbuch, das die unfreiwillige Zugfahrt des kleinen Pedro von Otavalo nach Quito und zurück beschreibt. Das Buch war jedoch in den USA kein Publikumserfolg. In Ecuador erschien es erst vor wenigen Jahren in einer dreisprachigen Ausgabe. Auch „The Donkey Inside“, in dem der Autor 1941 seine Reisen nach Ecuador und in andere lateinamerikanische Staaten in einer Art fantastischem Roman zusammenfasst, ist heute weitgehend vergessen. Zu Unrecht. Zwar mag manches im Tonfall des Autors, insbesondere die Beschreibung der indigenen Bevölkerung, aus heutiger Sicht recht chauvinistisch klingen. Aber der scharfe Beobachter Bemelmans zeichnet zugleich ein liebevolles, nuancenreiches und eindrückliches Bild von Land und Leuten, das seinesgleichen sucht und deswegen auch heute noch eine Lektüre lohnt.
„Im Inneren des Esels“ ist farbig, bildhaft und oft hemmungslos karikierend. Es berichtet von den reichen Familien der Hafenstadt Guayaquil, die es bis in die Dreißiger des 20. Jahrhunderts häufig vorzogen, in Frankreich zu leben, und nur von Zeit zu Zeit auf den Haciendas ihrer Heimat nach dem Rechten schauten. Von den alteingesessenen Bürgern Quitos, die viel Mühe darauf verwenden, ihre Töchter standesgemäß zu verheiraten. Von den zahlreichen Söhnen eines nicht ganz so vermögenden Landbesitzers, die davon träumen, eines Tages in den USA zu leben. Und von europäischen Glücksrittern und deutschen Auswanderern, die zwischen großer Freiheit und der Sehnsucht nach Ordnung und Gründlichkeit schwanken.
„Jeden Donnerstag Nachmittag um halb drei haben wir hier eine Revolution“
Bemelmans bewegte sich während seines Ecuadoraufenthalts viel unter Diplomaten und anderen Ausländern. Vor allem diese bekommen im „Inneren des Esels“ ihr Fett weg: Der britische Abenteurer Allan Ferguson, der unermüdlich nach dem Goldschatz des letzten Inka-Herrschers Atahualpa sucht, wird mit den lapidaren Worten kommentiert, „solchen Menschen ist einfach nicht zu helfen“.Vom Botschafter des Deutschen Reiches heißt es mit bitterer Ironie, er sei, „in diesem Land voller Überraschungen“ tatsächlich „ein freundlicher und kultivierter Herr.“ Aber auch die kleine einheimische Elite nimmt Bemelmans gerne aufs Korn: „Hier in Quito haben wir nicht so viel an Unterhaltung zu bieten wie in den großen Städten“, zitiert er einen imaginären früheren Staatspräsidenten. „Hier in Quito müssen Sie ihre Frau lieben; oder Sie gehen nach New York, oder, wenn Sie ganz viel Glück haben, nach Paris.“
Jede der fiktiven Persönlichkeiten des Buchs ist eine Zuspitzung in sich: Der exzentrische Historiker Juan de Palacios charakterisiert sein Heimatland Ecuador mit den Worten: „Geschichte…ist eine Fabel, die von einer Mehrheit als wahr angesehen wird. Bei uns ist es eine blutige, farbenfrohe Fabel – mit Gewalt, Gold, Inkas, Verrat (…) Unsere Archive sind größtenteils unzuverlässig, und unsere Statistiken reine Schätzung (…) Jeden Donnerstag Nachmittag um halb drei haben wir hier eine Revolution“.
Ein Schelm, wer sich bei der Lektüre an die ecuadorianische Gegenwart erinnert fühlt
Vieles klingt den heute in Ecuador Lebenden nicht unbekannt. Das entspannte Verhältnis vieler Einheimischer zu Terminen und Abfahrtszeiten ist ein wiederkehrendes Thema des Eisenbahnliebhabers Bemelmans: „Nach dem Sonnenstand ist es jetzt halb acht; die Glocken der Kathedrale läuten gerade Dreiviertel sieben, und auf der Bahnhofsuhr ist es zehn Minuten vor sieben. Es gibt eine Sternwarte in Quito, die die richtige Uhrzeit kennt, aber die können wir von hier aus gerade nicht sehen.“ Die Deutsche Schule, 1937 unter enger Kontrolle der Nationalsozialisten, gilt zwar als „die beste Schule des Landes“, aber auf Schulbildung allgemein wird im damaligen Ecuador nicht allzu viel Wert gelegt: „Die Feste aller Heiligen der Katholischen Kirche und diverser lokaler Madonnen, die zahlreichen Feiertage aus Anlass der Unabhängigkeit und wichtiger Schlachten, und die Geburtstage von Sucre und Bolívar sowie des jeweiligen Präsidenten sorgen dafür, dass in Quito immer Festtagsstimmung herrscht, und reduzieren die Zahl der jährlichen Schultage auf 79.“
„denn hier habe ich mehr als anderswo die Dinge gefunden, die ich für Südamerika typisch fand“
Ecuador ließ Bemelmans lange nicht los. „Now I lay me down to sleep“, 1943 veröffentlicht, beschreibt die turbulente Reise eines gealterten ecuadorianischen Generals von Biarritz über Casablanca bis zu der heimatlichen Hacienda seiner Familie in Ecuador. Sechs Notizbücher und mehr als einhundert Zeichnungen entstanden auf den Reisen des Autors und Zeichners. „The Donkey Inside ist in gewisser Weise ein Porträt eines Kontinents, aber es spielt in Ecuador, denn hier habe ich mehr als anderswo die Dinge gefunden, die ich für Südamerika typisch fand“ schreibt der Autor im Nachwort zu seinem Buch. „Es ist ein wunderschönes, liebenswertes und verrücktes Land.“
2. September 2022
„The Donkey inside“ lässt sich antiquarisch, wie auch einige andere Romane von Ludwig Bemelmans, im Internet erwerben. Eine deutsche Übersetzung gibt es leider nicht. „Quito Express“ ist in Quito im Buchhandel erhältlich.