Kategorien
Berlin Musik

Spektakuläre Kammermusik im ehemaligen Kino

„RESIST! – The sound of defiance“. Mit diesem Aufruf und viel Energie startet das in Steglitz ansässige TonhainKollektiv am 26. September in seine zweite Saison. Der Weltlage und allen Herausforderungen der Berliner freien Musikszene zum Trotz wollen die jungen Spitzenmusiker vor allem eins: exzellente Kammermusik auf Weltniveau mit ihren Zuhörern teilen und ihnen Klänge und Zusammenhänge vermitteln, die sie vorher (so) noch nicht gehört haben.

An einem regnerischen Morgen treffe ich mich mit Benjamin Lai und Yehjin Chun, den beiden Vorsitzenden des Kollektivs, im Tonhain, dem neuen Konzertsaal, der Sitz und Namensgeber des Ensembles ist. Noch wird gebaut in den Räumen des ehemaligen Asta-Kinos in der Thorwaldsenstraße. Die letzten akustischen Paneele werden angebracht, Kabel hängen aus den Wänden. „Aber eigentlich passt dieser Look ja prima zu Berlin“, scherzt Yehjin Chun, die hier Cello studiert hat, Preisträgerin renommierter Wettbewerbe ist und als Solistin mit namhaften Orchestern auftritt. Auch Benjamin Lai ist international erfolgreicher Cellist, im Berliner Konzerthaus und Wiener Musikverein ebenso wie in der Hamburger Laeiszhalle zu hören. Die beiden haben sich vor einigen Jahren im Studium kennengelernt.

Wie kam es zu der Location im Südwesten Berlins? „Ich suchte vor drei, vier Jahren einen Raum für ein Tonstudio, den man auch als eher intimen Kammermusiksaal nutzen konnte. So etwas fehlte in Berlin, und es fehlten Auftrittsmöglichkeiten für jüngere Musiker. Gleichzeitig wollten wir die Freiheit haben, unsere Programme und auch alles drum herum selbst zu gestalten“, erklärt Benjamin Lai. „Wir können hier mit Freunden und Gleichgesinnten Werke spielen, die man sonst nicht so oft hört. Und man nimmt in diesem Raum als Zuhörer die Musik ganz unmittelbar wahr, da knistert im Konzert wirklich die Luft!“

Im eigenen Saal – das Tonhain-Kollektiv im Konzert (c) Clara Evens
Im eigenen Saal – das Tonhain-Kollektiv im Konzert (c) Clara Evens

Um solche Konzerterlebnisse möglich zu machen, wurde der alte Kinosaal vollständig umgebaut, akustisch für Kammermusik optimiert, und bietet jetzt Raum für bis zu 99 Zuhörer. Demnächst wird er auch für professionelle Ton- und Videoaufnahmen zur Verfügung stehen – Benjamin Lai ist nicht nur Vorsitzender des Tonhain-Kollektiv e.V., sondern zugleich auch Geschäftsführer seiner eigenen Tonhain GmbH. Die Vision ist klar: „Als Kino war dieser Ort schon einmal Anlaufstelle für kulturell interessierte Menschen hier im Bezirk; an diese Tradition wollen wir anknüpfen!“ In Steglitz ist das Ensemble präsent, spielt auch einmal in einer hiesigen Schule. Es gibt Projekte für Kinder und eine enge Kooperation mit dem nicht weit gelegenen Kulturhaus Schwartzsche Villa. Immer wieder steht dabei, wie in der Hamburger Elbphilharmonie im Januar dieses Jahres, auch Filmmusik auf dem Programm.

Für ihre eigenen Konzertreihen im Tonhain suchen die Musiker stets ein übergreifendes, aktuelles Thema, beleuchten es von allen Seiten. Ihre erste, vollständig ausverkaufte Saison unter dem Titel „Machine Counterpoint widmete sich der Beziehung zwischen Musik, Mensch und Maschine. In diesem zweiten Jahr geht es um Widerstand und Rebellion und die Frage, wie Komponisten verschiedener Kontinente und Epochen Protest in ihrer Musik ausdrücken. Neu im Programm: Drei so genannte „Interludes“, Zwischenspiele, in denen musikalische Werke in einen Dialog mit anderen Disziplinen treten. So werden dann die Schriften der Literaturnobelpreisträgerin Han Kang mit Werken des unter japanischer Herrschaft internierten koreanischen Komponisten Isang Yun in Bezug gesetzt, oder der politische Aktivismus des Italieners Luigi Nono wird musikalisch erfahrbar. Wer für diese besonderen Veranstaltungen noch eine Karte ergattern will, sollte sich allerdings sputen – die ersten Konzerttermine sind bereits ausgebucht.

Letzte Vorbereitungen: die beiden Vereinsvorsitzenden Benjamin Lai und Yehjin Chun (c) Benita Schauer
Die beiden Vereinsvorsitzenden Benjamin Lai und Yehjin Chun (c) Benita Schauer

Zum Glück gibt es eine Gelegenheit zur Vorverkostung: Am Samstag, dem 6. September feiert die Schwartzsche Villa ihr dreißigjähriges Bestehen als kulturelles Zentrum des Bezirks. Um 17.15 Uhr spielen vier Cellisten des Tonhain-Kollektivs, darunter auch die beiden Vereinsvorsitzenden, ein vielseitiges Programm, von Rossini und Wagner bis zu Carlos Gardel. „Mit einem Cello-Quartett kann man sehr lustige Sachen machen“, grinst Yehjin Chun. Benjamin Lai ergänzt: „Wir versuchen, mit unserer Musik ein neues Publikum zu erreichen. Wir moderieren unsere Konzerte, vor allem, wenn es um Zeitgenössisches geht, damit man ein bisschen Kontext hat. Da kommen dann die Leute hinterher und sagen, „eigentlich bin ich nicht so ein Fan von solcher Musik, aber das war toll!“

Tonhain-Kollektiv e.V., Thorwaldsenstraße 26, 12157 Berlin, www.tonhain-kollektiv.org/de

Kulturhaus Schwartzsche Villa, Grunewaldstraße 3, 12165 Berlin https://www.berlin.de/ba-steglitz-zehlendorf/auf-einen-blick/kultur/schwartzsche-villa/30-jahre-schwartzsche-villa-1588428.php

Anmerkung: Dieser Text ist am 4. September 2025 in den Berliner StadtrandNachrichten erschienen




 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

error

Dieser Artikel gefällt Ihnen? Sie können meinen Blog über RSS-Feed abonnieren: