Früh am Samstagmorgen in Checa, in der staatlichen Schule „Tres de Diciembre“. Ein Dutzend Eltern in Gummistiefeln hackt vor einem Klassenraum die Grasnarbe auf. Es mögen etwa 25 Quadratmeter Boden sein, die heute umgegraben werden. Schulleiterin Rocio Hidalgo ist seit sieben Uhr vor Ort. „Wir müssen diesen Klassenraum vergrößern, sonst reicht der Platz nicht – nicht jetzt nach der Pandemie, wo immer mehr Kinder in die Schule zurückkommen.“ Eine zweite Gruppe ist mit dem Schneiden des Rasens beschäftigt, die laut lärmenden Rasenmäher haben wiederum andere Eltern für den Tag zur Verfügung gestellt.
Rund 1600 Schüler sind eingeschrieben an dieser Schule, die Kindergarten, Grundschule und Sekundarstufe umfasst. „Unsere Schule ist attraktiv, weil wir auch ein Fachabitur in den Bereichen Hotelwesen und Unterhaltungselektronik anbieten. Da kommen die Jugendlichen teilweise von weit her, in jeder Klasse sind rund vierzig Schüler.“ Das Schulgelände ist groß und grau, der Putz bröckelt an vielen Stellen, die sauberen Toiletten wirken rustikal. Für den Unterhalt gab es in den anderthalb Jahren, die die Schule wegen Corona geschlossen war, vom Staat kein Geld. Die jetzt vorgeschriebenen zusätzlichen Waschbecken auf dem Schulhof, die das regelmäßige Händewaschen ermöglichen sollen, wurden von der Schulleiterin durch das Sammeln von Altpapier und Plastikflaschen finanziert.
Wer keinen Internetzugang hat, kehrt schneller in die Schule zurück
Checa liegt nur eine Dreiviertelstunde von der ecuadorianischen Hauptstadt Quito entfernt in einer schon ländlichen Gegend. Es gibt den üblichen begrünten Platz im Ortszentrum, eine Hauptstraße, kleine Läden, und hinter einem rostigen Tor die riesige Schule. Über 60% aller Schüler hier gelten nach ecuadorianischen Maßstäben als arm. Etwa die Hälfte aller Familien verfügt über keinen Zugang zum Internet. In der Pandemie, als der Unterricht ausschließlich digital erfolgen konnte und Hausaufgaben per WhatsApp verteilt und zurückgeschickt wurden, ein großes Problem. Deshalb besuchen die Kinder dieser besonders armen Familien bereits zu 90% wieder den Präsenzunterricht. Bei den Familien mit Internetzugang über Handy oder Computer ist es etwas mehr als die Hälfte, Tendenz steigend.
Die Klassen 10-12 der Fachoberschule sind die einzigen, die bereits wieder täglich in die Schule kommen dürfen. Alle anderen erhalten nur dreimal wöchentlich Unterricht – wenn es die Eltern denn erlauben. Denn nach den staatlichen Vorgaben darf niemand darf zum physischen Schulbesuch gezwungen werden. Die Angst vor Ansteckung ist noch immer weit verbreitet. Dabei sind in der Provinz Pichincha, in der Checa liegt, rund 83% der Über-Zwölfjährigen geimpft. In dieser Woche erhalten alle Schüler zwischen fünf und zwölf Jahren ebenfalls ihre zweite Impfung – klassenweise und im Zweifelsfall ohne Ausnahme. Ab dem Februar 2022 hat das Schulministerium die vollständige Rückkehr aller Kinder in den Unterricht vorgesehen.
Groß ist die wirtschaftliche Not. Zwar ist der Schulbesuch formal gesehen kostenlos, ist die Pflicht zum Tragen der Schuluniform zurzeit ausgesetzt, sollen in diesem Jahr möglichst keine neuen Schulbücher angeschafft werden. Aber bereits der Transport von den oft weit entfernt liegenden Dörfern und die angemessene Ernährung der Schulkinder kostet Geld, über das viele Familien in der Wirtschaftskrise nicht mehr verfügen. Die sogenannten Schulspeisung erreicht sie in diesen Zeiten nur tröpfelnd: Alle zwei bis drei Monate gibt es ein paar Pakete mit Keksen, gesüßter Milch und zuckerhaltigen Säften, die allenfalls als Snack durchgehen können.
Wer nicht isst, kann auch nicht lernen
Sechs Familien mit kleinen Schulkindern warten deshalb an diesem Morgen geduldig auf dem Schulhof. Die „Damas Alemanas“, ein ehrenamtlicher Hilfsverein aus Quito, haben die Übergabe einer monatlichen Lebensmittelspende angekündigt. Schwere Kartons mit Reis, Hülsenfrüchten, Kartoffeln, Tomaten und Obst werden ausgepackt. „Eure Kinder erhalten diese Unterstützung, damit sie genug und gesund essen. Eure Verpflichtung als Eltern ist es, dafür zu sorgen, dass die Kinder regelmäßig in die Schule kommen und so gut lernen, wie sie es eben können!, erklärt Rocio Hidalgo der schweigend lauschenden Gruppe.
Die Geschichten der Familien sind so eindrücklich wie vielfältig. Die Mutter des achtjährigen Paolo (Namen geändert) weint, als sie die Essenskiste entgegennimmt; sie hat mehrere Kinder, ist alleinerziehend und ohne Arbeit. Die sechsjährige Adriana kommt mit ihrem Großvater – der Vater ist in der Nacht davor bei einem Messerangriff schwer verletzt worden. Miguel lebt mit seinen sieben Geschwistern in einem baufälligen Häuschen am Dorfrand.
Die Familien brauchen die Schule, die Schule die Familien
Schulen wie die „Unidad Educativa Tres de Diciembre“ sind für die Kinder und ihre Familien Lernort und Sozialzentrum zugleich. Durch den Präsenzunterricht erhält der Tag für die Schüler wieder eine Struktur; die Klassenlehrer andererseits wissen genau, welche ihrer Schützlinge besondere Nöte haben. Auch die Schule braucht die Eltern: Malen, mauern, mähen, Altpapier verkaufen – die Liste der Aufgaben ließe sich lange fortschreiben. Ohne eine aktive Schulleitung aber läuft nichts: „Wir waren die erste Schule im Bezirk, die wieder Präsenzunterricht angeboten hat. Man muss diese Dinge wollen und seine Pläne selbst umsetzen. Auf den Staat können wir hier nicht warten.“
14. Dezember 2021