Das Haus am Waldsee in Zehlendorf, 1923 erbaut, ist eine bürgerliche Villa und ein Ausstellungsort mit Zugang zu besagtem See. Menschen in Wochenendlaune genießen den Blick auf das Wasser und den Geruch des Herbstlaubs; im Café liefert das Zischen der Espressomaschine den Hintergrund für gepflegte Gespräche zum Kuchen. In den Ausstellungsräumen dagegen geht es gerade um weniger kommode Aspekte des Lebens: Vergänglichkeit, Ausgeliefertsein, die Fragilität menschlicher Existenz. Erstmals widmet sich eine Einzelausstellung in Deutschland der phänomenalen afro-amerikanischen Malerin, Bildhauerin und Landschaftskünstlerin Beverly Buchanan (1940 – 2015). Die noch viel mehr war: Naturwissenschaftlerin, Sammlerin, Schriftstellerin.
Beverly Buchanan wuchs als adoptierte Tochter eines Lehrer- und Dozentenehepaares im Bundesstaat South Carolina in den USA auf, in einer ländlichen Umgebung, deren von Armut und Ausbeutung beherrschte Vergangenheit Menschen und Architektur geprägt hat. Trotz eines großen Interesses am Zeichnen studierte Buchanan erst Medizintechnik, Parasitologie und Public Health, lebte und arbeitete lange in New York. Erst mit dem Beginn der 1970er Jahre begann sie sich systematisch mit Kunst und Malerei zu befassen. Ihre frühen Werke, die sie neben der Berufstätigkeit schuf, spiegelten ihre eigene Auseinandersetzung mit der Großstadt: Bilder von imaginären schwarze Mauern, Skulpturen aus Beton, Ruinen gleich.
30 Jahre lang bestimmten die „Shacks“ das Schaffen von Buchanan
1983 gab sie ihren Beruf und das geregelte Leben in der Stadt auf und zog zurück in den Süden, wo sie sich schließlich in Athens (Georgia) niederließ. Sie wollte dort sehen, so sagte sie in einem in der Ausstellung nachzulesenden Interview, „was ich als Künstlerin erreichen konnte.“ Zu Beginn der 1980er Jahre begann sie, sich intensiv mit den von ihr unter der Bezeichnung „Shacks“ zusammengefassten Gebäuden zu beschäftigen: prekären Behausungen, wie sie in den Südstaaten vor allem in den Siedlungen der schwarzen, benachteiligten Bevölkerung gang und gäbe waren. In unzähligen Varianten zeichnete Buchanan diese Häuschen, die ihre Bewohner aus dem zusammenzimmert hatten, was gerade da war: Ein paar Latten, einige Äste, ein Stück Wellblech.

In ähnlicher Weise baute sie selbst ihre „Shacks“ in Miniaturform, aus Materialien, die sie eher zufällig fand. Eine ganze Siedlung ist im Haus am Waldsee zu sehen: hölzerne Häuschen, bunt, phantasievoll, kaum ein rechter Winkel irgendwo. Und die Kirche darf nicht fehlen (Buchanans Urgroßvater war methodistischer Pfarrer und hatte seine eigene Gemeinde). Dabei ist es eine poetische Welt, welche die Künstlerin erschafft: Für sie stehen die Häuser für allgemeingültige und doch individuelle Geschichten von Menschen. Zu einigen der „Shacks“ hat sie „Legenden“ geschrieben, in Ton und Gehalt traditionellen Märchen gleich. Irgendwo zwischen Realität und Fiktion steht auch der hölzerne „Shack South inside out“ – zu klein, als dass ein Mensch darin stehen könnte, das Innere gewissermaßen nach außen gekehrt, verletzlich. Kein Schutz gegen die Widrigkeiten des Lebens, nicht einmal gegen Wind und Wetter. Aber vielleicht ein Zeichen des Willens, zu überleben.
Vergänglichkeit kontrastiert mit Hoffnung auf Zukunft
„Weathering“ (Verwitterung) ist der treffende Titel dieser Überblicksausstellung. Wie die „Shacks“ sind auch die großen Landschafts-Kunstwerke von Buchanan so konzipiert, dass sie Vergänglichkeit mitdenken. Die „Marsh Ruins“, drei 1981 von ihr an der Küste von Georgia gestaltete Zementhügel, sind eines ihrer bekanntesten Werke in diesem Stil. Den Punkt der Verwitterung greift Ima-Abasi Okon auf, die Mit-Künstlerin dieser Ausstellung. Quer durch den Garten des Hauses am Waldsee hat sie einen Pfad gemäht, der hinunter zum See führt. Nur wenige Wochen und einige Herbststurmtage nach Ausstellungsbeginn ist er kaum noch zu sehen. Im Haus selbst hat Okon dagegen Blumenaquarelle Beverly Buchanans zusammengestellt: farbenfrohe Zeichnungen, mit deren Verkauf die Künstlerin ihr prekäres Leben zuweilen finanzierte. Auch die Wände der Ausstellungsräume, von Okon mit einer Mischung aus Pollen und Wasser gelb gestrichen, sagen: weitermachen, es gibt eine Zukunft!

Als ein Mensch endlos vieler Ideen erscheint Beverly Buchanan in den ausgestellten Skizzen, handschriftlichen Notizen, Fotos und kleinen Erzählungen. Immer im Dialog mit der sie umgebenden Landschaft, ihrer Architektur und den dort lebenden Menschen. Im wahrsten Sinne des Wortes geerdet, mit der Schubkarre in den Händen, Stiefel an den Füßen. „Ich hoffe, dass ich mir etwas von der Energie bewahren kann, die in einigen meiner Zeichnungen zum Ausdruck kommt!“ sagt Beverly Buchanan im Interview. „Wie würdest Du diese Energie definieren?“, wird sie gefragt. „Tornado“. Man glaubt es, wenn man ihr Werk sieht.
Beverly Buchanan, Weathering mit Ima-Abasi Okon, Haus am Waldsee e.V., Argentinische Allee 30, 14163 Berlin, 2.10.2025 – 1.2.2026, Di bis So 11–18 Uhr.
Dieser Text ist zuerst am 30. Oktober 2025 in den Stadtrand-Nachrichten erschienen.