„Sojka“ ist das tschechische Wort für Eichelhäher. Trude Sojka liebte Vögel. Überall in ihrem Haus im Stadtteil La Floresta sind sie zu finden. Als in sich gekehrte, trauernde Skulptur aus Zement, Sojkas bevorzugtem Material; als Phoenix, der seinen Schnabel entschlossen gen Himmel reckt; als fröhlich davon fliegende Flatterwesen auf einem ihrer späten Bilder.
Berlin, Prag, Auschwitz, Ecuador
Gertrud Herta Sojkova wurde im Jahr 1909 als Kind tschechisch-jüdischer Eltern in Berlin geboren. Sie studierte in den dreißiger Jahren an der Berliner Akademie der Bildenden Künste und zog 1938 nach ihrer Heirat mit Dezider Schwartz, einem tschechischen Staatsangestellten, nach Prag. Zu spät erkannten sie die Gefahr, die ihnen nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten dort drohte; beide wurden eventuell schon 1942, belegt aber 1944 in ein polnisches Zwangsarbeiterlager und anschließend in das Konzentrationslager Auschwitz verbracht. Dort verliert sich die Spur von Dezider Schwartz. Trude Sojka, die zu diesem Zeitpunkt schwanger war, wurde mehrfach in andere Lager verlegt, zuletzt nach Kleinschönau im Südwesten Polens, wo sie wenige Tage vor Kriegsende eine Tochter zur Welt brachte, die nur wenige Wochen lebte.
Von den nahen Verwandten Sojkas überlebte den Krieg allein der ältere Bruder Walter, den die Universidad Central von Quito 1938 eingeladen hatte, dort Vorlesungen in Chemie zu halten, und der angesichts der sich zuspitzenden Lage in Europa in Ecuador geblieben war. Über den Suchdienst des Roten Kreuzes schrieb Walter im Februar 1944 an die Verwandten, die er am Leben hoffte, „Geht uns recht gut – eigene Fabrik – mitteilet sofort wann möglich, Euch Visum & Pasagen zu schicken“. Wie durch ein Wunder erhielt Trude Sojka nach Kriegsende diese Nachricht tatsächlich und erreichte 1946 die Hafenstadt Guayaquil, wo ihr Bruder sie gemeinsam mit einem Freund erwartete. 1948 heiratete sie diesen Freund, Hans Steinitz, der ebenfalls vor den Nationalsozialisten geflohen war; gemeinsam bauten sie ihr Haus in Quito. Für alle Fälle noch mit einer geheimen Kammer nahe dem Hauseingang, einem sicheren Versteck, falls dies erneut notwendig werden sollte.
Kunst als Therapie
Während Hans Steinitz als Geschäftsmann und Vertreter ausländischer Firmen in Ecuador sein Geld verdiente, begann Trude Sojka nach und nach wieder als Künstlerin zu arbeiten. Als Material wählte sie die ungewöhnliche Kombination aus schnelltrocknendem Zement, den sie auf einen hölzernen oder metallenen Untergrund auftrug, und Akrylfarbe. Gerne integrierte sie Bestandteile von Alltagsgegenständen in ihre Werke – Mülltonnendeckel wurden zur Basis für Gemälde, die Glashenkel von Bierhumpen zu den Rippen eines stilisierten Elefanten. Wie farbige Landschaftsreliefs wirken ihre Bilder; unverkennbar dabei der Einfluss des europäischen Expressionismus’, der ihr aus ihrer Studienzeit präsent war, und den sie mit indigenen Motiven aus ihrer neuen Heimat verband.
Wie in einem Spiegel erkennt man an den Bildern in der „Casa Cultural Trude Sojka“, wie aus einer traumatisierten Holocaust-Überlebenden (Sojka sprach auch mit ihrer Familie niemals über das in den Kriegsjahren Erlebte) über die Jahrzehnte eine frohe, in sich ruhende Frau wurde. Von der Darstellung eines Todesmarsches über den schon erwähnten Phoenix und die von Chagall und Matisse inspirierten Tänzerfiguren zu der „Blauen Frau“, die die Welt und das Leben umarmt führt uns Anita Steinitz, die jüngste Tochter der Künstlerin, die das Museum heute leitet.
Erinnerung an einen „Gerechten unter den Völkern“
In der als Gedenkraum gestalteten Bibliothek von Hans Steinitz erinnert eine Tafel an José Ignacio Burbano, der als ecuadorianischer Konsul in Bremen dem späteren Mann von Trude Sojka 1938 ein Visum für Ecuador verschaffte und ihm damit die Flucht aus dem KZ Sachsenhausen ermöglichte. Berichtet wird auch über den in Yad Vashem als „Gerechten unter den Völkern“ anerkannten Konsul Ecuadors in Stockholm Manuel Antonio Borrero, der seinerseits mehreren Hundert Juden durch die Ausstellung von Visa zur Flucht verholfen haben soll.
„Meine Mutter gehörte zu der Generation, die nicht über das Erlebte sprechen wollte. Meine eigene Generation stellte unaufhörlich Fragen, bekam aber keine Antworten. Und die Generation meiner Tochter Gabriela sucht ihre Antworten selbst“, fasst Anita Steinitz zusammen. Gabriela Steinitz, selbst Künstlerin, führt das Erbe ihrer Großmutter weiter, forscht nach der Vergangenheit und findet im Rahmen ihrer Kunst Möglichkeiten, Fragen und mögliche Antworten in die Gegenwart zu tragen.
Ihr Leben sei voll von Wundern gewesen, pflegte Trude Sojka zu sagen. Die Wunder können besichtigt werden:
Casa Cultural Trude Sojka, Pasaje Moeller, Quito (Stadteil La Floresta), Tel. /WhatsApp 00593 998 735 72 oder 00593 2 222 4072 (zur Zeit nur nach persönlicher Anmeldung).
28.10.2020