Am 24. Mai wird Guillermo Lasso als Präsident Ecuadors in sein Amt eingeführt. Damit, so hoffen es viele, enden die gut anderthalb Jahre, in denen die scheidende Regierung von Lenin Moreno sich immer weiter in Korruption und Bedeutungslosigkeit verlor. Seit dem 21. Mai ist auch der zur Pandemie-Bekämpfung verhängte Ausnahmezustand beendet, und in der Bevölkerung macht sich angesichts eines langen Wochenendes ohne nennenswerte Restriktionen Karnevalsstimmung breit. Die Autos sind für den Wochenendausflug gepackt, Restaurants und Innenstädte voll von Menschen, aus den Gärten der Vorstädte schallt Musik.
Der neuen Regierungsmannschaft allerdings dürfte kaum nach Party zumute sein, denn die vor ihr liegenden Aufgaben sind riesig: Die staatlichen Kassen sind leer, das Land ächzt unter der dritten Corona-Welle, der Impfprozess läuft wegen Mangels an Impfstoff und Desorganisation schleppend. Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger haben rapide zugenommen; Bildungschancen sind als Folge der seit März 2020 andauernden Schulschließungen verschwunden.
Die Neuerfindung des Guillermo Lasso
Der erfolgreiche Selfmadebanker Lasso, der selbst aus einfachen Verhältnissen stammt und nie eine Universität besuchen konnte, hat sich in den vergangen Monaten in Demut geübt und um die Unterstützung von Frauen, Indigenen, sozial Schwächeren geworben. Mit 52,4 Prozent konnte er sich im zweiten Wahlgang im April gegen seinen Herausforderer Andrés Arauz, eine Marionette des diktatorischen Ex-Präsidenten Rafael Correa, durchsetzen. Er tritt mit einem motivierten Experten-Kabinett und dem Versprechen an, mit vereinten Kräften dem von Wirtschafts- und Gesundheitskrise gebeutelten Land wieder auf die Beine zu helfen. Dabei will er den Kontakt zu allen Teilen der tief gespaltenen ecuadorianischen Gesellschaft suchen: „Encontrémonos“ – „Sprechen wir miteinander“, ist seit den letzten Wochen des Wahlkampfes sein Motto.
Das neue Kabinett trägt ungewohnt junge, professionelle und individuelle Züge. Die zukünftige Integrationsministerin Mae Montaño, Erziehungswissenschaftlerin und Ingenieurin aus der Küstenprovinz Esmeraldas, beantwortet die Frage nach ihrem Kindheitstraum nüchtern: Sie habe in der Regel davon geträumt, am nächsten Tag etwas zu essen zu bekommen. Dagegen stammt der designierte Finanzminister Simon Cueva aus einer traditionsreichen Familie von Politikern und Akademikern, hat in Frankreich studiert und verfügt aus seiner früheren Tätigkeit über gute Beziehungen zum Internationalen Währungsfonds, wichtig für das verschuldete Ecuador. Die Gesundheitsministerin Ximena Garzón ist Spezialistin in Öffentlichem Gesundheitswesen und Epidemiologie; Außenminister Mauricio Montalvo ist ein erfahrener Karrierediplomat, der zuletzt als Botschafter in Australien diente.
Regierung und Parlament: Feuer und Wasser
Auf zahlreichen Videos auf YouTube und TikTok präsentiert sich die Regierungsmannschaft als modernes und visionäres Team, beseelt von dem Gedanken, Ecuador mit Offenheit und neuen Ideen aus der Krise zu bringen. Doch dieser Optimismus dürfte bald auf eine harte Probe gestellt werden. Denn die Zusammensetzung des ebenfalls neu gewählten Parlaments spricht eine andere Sprache: In der von linken Kräften dominierten „Asamblea Nacional“ bilden die Anhänger der vom früheren Präsidenten Correa aus dem belgischen Exil ferngesteuerten UNES mit 49 Abgeordneten den größten Block. Zweitstärkste Kraft ist die Indigenenbewegung Pachakutik, die mit Guadalupe Llori die erste indigene Parlamentspräsidentin Ecuadors stellt.
Lassos eigene Partei CREO verfügt nur über eine Handvoll Sitze im Parlament, ist also zum Regieren auf immer neue Konstellationen angewiesen, um die erforderliche Mehrheit von 70 der 137 Abgeordnetenstimmen zu erreichen. Bei der Wahl der Parlamentspräsidentin gelang dies durch einen Ad-Hoc-Zusammenschluss von CREO, Pachakutik und der Demokratischen Linken. Gleichzeit kam es zum Bruch mit dem ehemaligen Wahlkampfpartner PSC, deren Abgeordneten nun jedes Mittel recht ist, um dem neuen Präsidenten Steine in den Weg zu legen. So konnte CREO anders als erwartet nicht den Vorsitz im wichtigen Wirtschaftsausschuss übernehmen. Dies wird die Ausgestaltung und Durchsetzung der von Lasso angekündigten Steuerreform im Parlament problematisch machen.
Lasso: für Ecuador – mit Gottes Hilfe
Bisher ist Lasso der Kritik seiner Gegner mit Humor begegnet. Ein bei TikTok vor wenigen Tagen veröffentlichtes Filmchen zeigt einen gutgelaunten Präsidenten in spe in Hemd, Jeans und den bereits emblematischen roten Turnschuhen; seine Hände umfassen ein Herz in den ecuadorianischen Nationalfarben: „Mir geht es um Ecuador, nicht um politische Ränkeschmiede“. Während die Legislative um die Besetzung ihrer Ausschüsse rang, stellte ein entspannter Lasso der Öffentlichkeit seine Ministerriege vor.
Zur Amtseinführung am 24. Mai werden unter anderem der spanische König sowie Regierungschef Felipe Gonzalez, eine hochrangige Delegation aus den Vereinigten Staaten und diverse lateinamerikanische Staatschefs erwartet. Anders als bei früheren Präsidenten werden die Feierlichkeiten auf Wunsch des Opus-Dei-Mitglieds Lasso mit einer Messe in der Kathedrale beginnen. Und dann geht es an die Arbeit: Achtzig Dekrete sind bereits für den ersten Tag des neuen Kabinetts angekündigt. Die Sehnsucht des Landes nach einem Ende der de facto regierungslosen „schrecklichen“ Zeit ist groß. Aber ob die neue Regierung diese Sehnsucht wird befriedigen können, ist mehr als ungewiss.
22. Mai 2021
Eine Antwort auf „Regierungslose, schreckliche Zeit: Warten auf Guillermo Lasso“
Sehr interessant diese Analyse