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In den Weiten des Páramo – die Hacienda Yanahurco

Der grüne Käfer liegt rücklings auf den Fliesen und zappelt mit den Beinen. Draußen regnet es; es ist kalt in unserem blauen Häuschen auf 3.600 m Höhe. Für die letzten 22 Kilometer des Wegs durch den Cotopaxi-Nationalpark haben wir mit dem Geländewagen anderthalb Stunden gebraucht. Nördlich des eigentlichen Vulkans Cotopaxi,  zwischen den „media naranjas“, an Orangenhälften erinnernden erstarrten Lavablasen, war die Landschaft noch wie von einer sandfarbenen Polsterschicht überzogen gewesen. Im Laufe der Fahrt wurde sie dann immer farbenreicher, wilder und lieblicher zugleich. Viele Gatter waren auf dem Weg zu öffnen und zu schließen, einige unerwartete Abzweigungen zu nehmen, manche Furt zu durchfahren. 

Unsicher hatten wir dann vor dem letzten Tor gestanden, bis uns eine Anwohnerin erspähte, durch die tiefen Pfützen watete und uns hineinließ. Aber hier sind wir jetzt, auf der Hacienda Yanahurco, mit 260 000 Hektar der größten in privater Hand befindlichen Hacienda Ecuadors. Yanahurco wurde im 18. Jahrhundert gegründet und besteht heute aus einer Handvoll niedriger, strohgedeckter Häuser am Rande eines sich windenden Flusses; die meisten Gebäude sind für Besucher vorgesehen. Offenbar haben nicht nur wir die Gelegenheit ergriffen, der trüben Stimmung und dem durch die Corona-Schutzmaßnahmen eingeschränkten Leben in der Hauptstadt Quito zu entfliehen, wie uns die hie und da parken Autos zeigen.

Freiheit von der Stadt und von der Maske

Masken werden hier, gegen die Vorschrift und in schweigendem Einverständnis, nicht verlangt; aber unsere warmen Jacken behalten wir gleich an, während wir uns mit dem in die Jahre gekommenen Gasherd bekannt machen. Kurz bevor das Tageslicht ganz verschwindet, springt auch der Generator an und mit ihm die Energiesparlampen in der schlichten Küche. Zeit für ein schnelles Abendessen, und anschließend sogar warmes Wasser zum Abwaschen, bevor der Strom wieder erlischt und die Kälte uns unter die steifen Wolldecken unserer Betten treibt

Als wir am nächsten Morgen früh aufstehen, herrscht vor der Haustür schon Leben. Ernesto und Manuel, die auf der Hacienda alle täglichen Arbeiten verrichten, haben von den umliegenden Hängen die 22 Pferde herabgeholt, die nun innerhalb des aus Lehm gemauerten Walls grasen, wo einmal jährlich die Rinder der Hacienda zur Zählung zusammengetrieben werden. Dieses Rodeo ist in normalen Jahren eine Attraktion für Touristen, die dafür erkleckliche Summen bezahlen. Aber in diesem Jahr kam Corona, das Ereignis wurde, wohl wegen der damit verbunden feuchtfröhlichen Feiern, verboten. Kein Rodeo, keine Besucher, keine Einnahmen.

Ernesto reitet mit uns aus; ein ruhiger, bedächtiger Bergbewohner, dem kein Wort zu viel über die Lippen kommt. Die traditionellen steifen Lederhosen der Chagras, der Hochland-Viehhirten, sind bei ihm Alltagskleidung, schützen gegen Regen und Kälte gleichermaßen. Den dazugehörigen Streifenponcho hat er heute auf den Sattel geschnallt, auf dem Kopf sitzt der dunkle Filzhut. Die kleinen Hochlandpferde sind das Auf und Ab mit unterschiedlich reiterfahrenen Touristen gewöhnt, folgen brav den manchmal kaum erkennbaren Pfaden. 

Herb und grau oder bunt und lieblich – die vielen Gesichter des Páramo

„Langweilig grau“ nennt unser Sechzehnjähriger die Landschaft – wir Erwachsenen hingegen können uns an den ineinander übergehenden Farben der Vegetation nicht sattsehen. Die auf dieser Höhe typische Páramo-Landschaft, teils nur mit langen Grasbüscheln bedeckt, oder mit dunkelgrünen Büschen, dann wieder mit orange-gelb-grasgrün leuchtenden Flechten oder solchen mit winzigen Blüten bewachsen, kann man sich schöner nicht vorstellen. Hinter den sich immer wieder neu öffnenden Flusstälern, über den schroffen Wänden der Canyons, thront, ab und zu auch für uns sichtbar, der schneebedeckte Cotopaxi. Neben dem Vulkanriesen wirkt der benachbarte Quilindaña, dessen Gipfel sich zackig vor dem Himmel abzeichnet, mit seinen 4878 Metern bescheiden.

Sechs Stunden sind wir so unterwegs, an Berghängen, durch Wasserläufe, über Wiesen, dann schmerzen die Knie. Unsere Mädchen lassen es sich trotzdem nicht nehmen, auf den letzten Metern noch einmal zu galoppieren; zu gemächlich war ihnen das Tempo während des Tages. Breitbeinig steigen wir von unseren Pferden und aus den Gummistiefeln. Die der Natur überdrüssige Jugend zieht sich unter die Decken im kalten Haus zurück, wir Erwachsenen genießen die Wärme der letzten Sonnenstrahlen vor einem kurzen Abend. 

Am nächsten Morgen begrüßt uns der Cotopaxi in gestochener Schärfe gegen den blauen Himmel. Die Sicht ist spektakulär, die Kälte auch. In der Morgensonne dampfen die raureifüberzogenen Wiesen. Pferde, Kühe und Hirsche mischen sich auf den Hängen rund um das Tal. Ein neuer Tag im Hochland beginnt. Der grüne Käfer hat sich davon gemacht.

07.09.2020

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