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Leben und Gesellschaft

Kartoffeln, dicke Bohnen und Lupinen – Überleben in den Bergdörfern Ecuadors

An der Wand des einfachen Hauses aus Lehmziegeln mit dem gestampften Boden hängen an Haken die Kleider des alten Mannes. Im Halbdunkel erahnt man das ordentlich gemachte Bett. „Hier wohnt mein Großvater; ich lebe dort hinten in dem Haus“, sagt die junge Frau, die uns den Hügel hinaufgeführt hat, und zeigt auf ein einfaches Betonhäuschen, vor längerer Zeit einmal bunt angestrichen. Monteserín Alto heißt das Dorf, in dem wir uns befinden, mit dem Auto eine gute Dreiviertelstunde entfernt von Ascázubi, dem nächsten größeren Ort; rund anderthalb Stunden von Ecuadors Hauptstadt Quito. Eine sogenannte „Comunidad“, eine Siedlung mit vierundzwanzig Familien und 70 Personen, davon ein Drittel Kinder. 

Am 17. März dieses Jahres wurde zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in Ecuador der Ausnahmezustand verhängt; von einem Tag auf dem anderen brach der informelle Arbeitsmarkt, in dem gut die Hälfte aller Ecuadorianer ihr Geld verdient, zusammen. Wie viele Arbeitnehmer mit einer regulären Stelle seitdem ihre Anstellung verloren haben, ist den offiziellen Statistiken nicht glaubwürdig zu entnehmen; bekannt ist, dass schon Anfang August dieses Jahres ein Zehntel der 16 Millionen Ecuadorianer zum Überleben auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen waren,  und dass die Zahl der Armen laut Angaben der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr von 4,2 auf 6,3 Millionen gestiegen ist. 

Ein großes Problem – Autofahren und Transport in Corona-Zeiten

Seit dem Mai, als die Not im Lande immer größer wurde,  haben wir mit einigen Mitgliedern der „Damas Alemanas“, eines Zusammenschlusses deutschsprachiger Frauen in Quito, regelmäßig Nahrungsmittelpakete für Hungernde gepackt. Aber wie die notleidenden Familien erreichen, wenn, wie viele Monate lang der Fall, strenge Ausgangssperre herrscht und Autofahren eigentlich nur an einem Vormittag in der Woche erlaubt ist? Allein die großen kirchlichen Organisationen, Klostergemeinschaften und Pfarrgemeinden verfügten aus Zeiten vor der Pandemie über enge Kontakte in ihre Sprengel hinein, wussten genau, welche Familien besondere Hilfe benötigten, und waren bereit, auch in schlimmsten Corona-Zeiten zu Fuß oder notfalls mit dem Maulesel 18 Kilogramm schwere Kisten mit Nahrung persönlich bei den Bedürftigen abzugeben. Und notfalls konnten sie auch eine Fahrerlaubnis organisieren.

So ergab sich in den vergangenen Monaten eine regelmäßige Zusammenarbeit der „Deutschen Damen“ unter anderem mit der Ordensgemeinschaft der Franziskaner. Pater Abelardo und Bruder Oscar leben und arbeiten gemeinsam mit einem dritten Bruder in Ascázubi. Sie haben die dreißig am Vortag von vier „Damen“ mit Obst, Gemüse, Käse, Nudeln und Reis, Seife und Alkohol bestückten Kisten mit grüner Wäscheleine auf ihrem Pick-Up befestigt und sind uns über die immer steiniger und schmaler werdende Straße voran gefahren. Hinein in die karge Páramo-Landschaft auf 3.500 Meter Höhe. Jetzt stehen wir inmitten einer Gruppe erwartungsvoller Dorfbewohner, Schals um den Mund geschlungen, Gummistiefel an den Füßen, kleine Kinder im Tuch auf den Rücken gebunden. José, der Vizepräsident der Dorfgemeinschaft, gibt Anweisungen, und wir machen uns als Karawane auf den Weg von Haus zu Haus.

 Fließendes Wasser gibt es nicht in Monteserín Alto. Vor der Tür eines Hauses trocknen die aus der feuchten Erde geernteten Kartoffeln direkt auf dem Boden, um die Erdkruste abzuwerfen; danach kommen sie in die weißen Säcke, die an allen Hauswänden im Dorf stehen. Gekocht wird auf Holzfeuern in großen, schweren Töpfen; die unzähligen Meerschweinchen teilen Küche und Wohnraum mit den menschlichen Bewohnern, bevor sie selbst in den Kochtopf wandern. Außer Kartoffeln werden dicke Bohnen angebaut, und Chocho, eine andine Lupinenart, die in einer anderen ecuadorianischen Welt, die den Menschen hier so fern sein dürfte wie Disneyland, zur Herstellung von Fleischersatzprodukten für Vegetarier genutzt wird. 

10 Dollar für 50 Kilo Kartoffeln

Monteserín Alto lebt von der Hand in den Mund. Zehn US-Dollar erhalten die Bauern vom Zwischenhändler für 50 Kilo Kartoffeln oder Bohnen. Ab und zu wird ein Lamm geschlachtet, vielleicht auch einmal ein Huhn. Die Hühner legten in der Höhe und ohne richtiges Futter kaum Eier, sagen die Franziskanerbrüder. Die Folgen der einseitigen Ernährung sind geringes Wachstum und verlangsamte Entwicklung. Längst nicht alle Kinder im Dorf sind so wach und fröhlich wie das achtjährige Mädchen, das mir mit entschiedener  Stimme alle ihre Vor- und Nachnamen nennt, als sei sie gerade in der Schule aufgerufen worden. Die Zweijährige auf dem Arm ihrer Mutter spricht noch kein Wort und versteht nicht die Namen der Lebensmittel; der vierjährige Junge, der sich hinter den Kartons versteckt, wirkt, als sei er eigentlich zwei Jahre jünger. 

 Drei Wochen reiche ihrer Familie unsere Lebensmittelspende, sagt die alte Frau, die uns durch das ganze Dorf begleitet  hat, ihre Kiste schließlich mit Hilfe der Nachbarn in ein Tragetuch lädt und langsam nach Hause läuft. Auch in den nächsten Wochen wird es bei ihr Bohnen und Kartoffeln geben – aber vielleicht nur an jedem zweiten Tag. „Und zu Weihnachten braten wir ein Lamm – dann müsst Ihr wiederkommen!“.

Hilfe für Monteserín Alto und andere Notleidende in Ecuador:

Damas Alemanas Ecuador Deutschland e.V. , VR-Bank Dinkelsbühl , Stichwort „Coronahilfe“

BIC: GENODEF1DKV

IBAN: DE18 7659 1000 0008 9163 73 

31. Oktober 2020

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