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Galápagos: Zurück in die Zukunft

Die Touristen sind zurückgekehrt nach Galápagos, auf die „islas encantadas“, die „verzauberten“ Inseln. Schlendern durch die Hauptstraße der größten Stadt Puerto Ayora, zwischen Kunsthandwerk, billigen T-Shirts und hippen Sushi-Restaurants. Lassen sich neben einem schlafenden Seelöwen auf der wackeligen Bank am Straßenrand nieder. Fotografieren die leuchtend roten „Hexenfische“ (Pez brujo) am Fischmarkt, während die daneben stehenden Pelikane ungeduldig darauf warten, dass ein Happen für sie abfällt. 

„Wir haben im letzten Monat 15.000 Touristen empfangen“, berichtet Danny Rueda, seit März 2020 Direktor des Nationalparks Galápagos. „Das ist eine große Erleichterung, denn wir müssen alle unsere Einnahmen selbst generieren. In Zeiten von Corona hieß das: Kein Tourismus, kein Geld“. Vor der Pandemie kamen bis zu 25.000 Besucher monatlich; 21 Flüge wöchentlich waren erlaubt. Diese Deckelung, wie auch das Verbot, neue Hotels zu errichten, sorgten dafür, dass das fragile Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur trotz des einträglichen Tourismus’ einigermaßen erhalten blieb.

Vermehrt sich der Mensch, verändert sich die Natur

Denn diese Balance ist stets gefährdet, seit die zunehmende Besiedlung des Archipels in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts begann. Heute leben rund 33.000 Menschen auf den vier bewohnten Inseln, binnen fünfzig Jahren hat sich die Bevölkerung verzehnfacht. Mit den Zuwandern kamen auch die Haus- und Nutztiere, mit unerwünschten Nebeneffekten: die Katzen der Neusiedler fraßen einheimische Vögel, und ihre mit Nahrungsergänzungsmitteln gepäppelten Rinder grasten nun neben den hier einheimischen Riesenschildkröten. Die Schildkröten ernährten sich von den durch die Rinder „gedüngten“ Pflanzen – und waren auf einmal gegen Antibiotika resistent. Und sie verteilten überall die Samen der eingeschleppten Brombeere, deren Ranken nun die hier endemischen Pflanzen überwuchern.

Viele der hier lebenden Menschen kommen ursprünglich vom ecuadorianischen Festland. „Ich bin zwar schon in Galápagos geboren“, erzählt unser junger Taxifahrer, „aber meine Eltern sind aus der Provinz Tungurahua im Hochland hierher ausgewandert.“ Bewohnt sind dennoch nur gut 3% des Territoriums, der Rest der insgesamt 127 Inseln und Inselchen zählt zum Schutzgebiet des Nationalparks. Aber der Mensch hinterlässt auch dort immer deutlicher seine Spuren: Auf dem paradiesisch anmutenden Sandstrand der Tortuga Bay lassen sich bei näherem Hinschauen unzählige Teilchen von blauem, rotem oder weißen Mikroplastik ausmachen, die mittlerweile auch in den Organismen der hier lebenden Tiere in großer Zahl vorkommen. 

Blau auf weißem Sand: Mikroplastik in der Tortuga Bay
Blau auf weißem Sand: Mikroplastik in der Tortuga Bay

Schon ohne Pandemie ist die Versorgung der Bevölkerung schwierig

Auf den Inseln Santa Cruz und San Cristóbal, wo die die große Mehrzahl der Bewohner lebt, erhofften sich manche Ecuadorianer und unternehmungslustige Ausländer ein auskömmliches Leben in exotischem Ambiente. Die Gehälter der staatlichen Angestellten auf Galápagos liegen 80% über denen des Festlandes. Viele der Zuwanderer bleiben erst einmal versuchsweise hier, melden sich nicht bei den Behörden an. Aber die Kosten des täglichen Lebens sind hoch. Nur etwa dreißig Prozent der Nahrungsmittel, die die Inseln konsumieren, können sie selbst produzieren, sagt Danny Rueda. Alles andere muss über tausend Kilometer vom Festland importiert werden. „In der Zeit des Lockdowns haben wir alle angefangen, unser eigenes Gemüse anzubauen, weil wir ja von irgendetwas leben mussten“, erinnert sich Samira, die als Touristenführerin für den Nationalpark arbeitet. „Freunde von uns hatten irgendwann gar nichts mehr zu essen, wir haben uns dann zusammengetan, um ihnen zu helfen. Aber es gab auch gegenteilige Effekte – alle zogen auf einmal Tomaten im Garten und verkauften sie, so dass der Marktpreis um die Hälfte fiel!“

Eines der Hauptprobleme aller Siedler ist von jeher die Wasserknappheit. Nur San Cristóbal verfügt über eine Süßwasserquelle. Auf Santa Cruz dagegen fließt nur zwei Stunden am Tag das Nass aus dem Hahn, dann ist Schluss. Das aufgefangene Regenwasser und die vorhandenen Entsalzungsanlagen reichen nicht, um den Bedarf aller Bewohner zu decken. Noch mehr als einen verlässlichen Zugang zu Trinkwasser aber wünschen sich die „Galapageños“ eine bessere Gesundheitsversorgung. „Wenn es auf unserer Insel gleichzeitig zwei Unfälle gibt, kann nur einer davon versorgt werden“, klagt ein Touristenführer. „Ich sage meinen Gästen immer: Genießt Euren Aufenthalt, aber werdet bloß nicht krank!“

Der ewige Ärger mit dem Internet

Auch das Internet ein ständiger Beschwerdepunkt nicht nur der ausländischen Übernachtungsgäste in den teuren Hotels. Nur 41% aller Haushalte verfügen über einen Internetanschluss; bis zu 100$ müssen dafür monatlich bezahlt werden.  Das versprochene Glasfaserkabel wird wohl erst in fünf Jahren verlegt. Dies ist nicht nur ein Kommunikations-, sondern auch ein Bildungshemmnis: 33% aller Schüler hatten während der letzten anderthalb Jahre der Pandemie, in denen der Unterricht ausschließlich über virtuelle Kanäle erfolgte, überhaupt keinen Zugang zur Schulbildung. Auch jetzt dürfen sie nur einmal in der Woche wenige Stunden in die Schule gehen – wenn sie Glück haben, denn nicht alle Schulen auf Galapagos haben bisher die Erlaubnis zum Wechselunterricht erhalten. 

Seit mehreren Wochen hat es auf den Inseln keinen neuen Corona-Fall mehr gegeben. Selbst bei den Zwölf- bis Fünfzehnjährigen hat die Impfquote inzwischen mehr als 75% erreicht, bei den Erwachsenen liegt sie nahe 100%. Mittlerweile machen ausländische Touristen wieder die Hälfte aller Besucher aus. Aber ein „weiter so wie vor der Pandemie“ wird es nicht geben: „Wir können uns nicht weiter auf den Tourismus als einzige Einkommensquelle stützen“, schreibt Norman Wray Reyes, damals Vorsitzender der regionalen Regierung, in dem unlängst verabschiedeten „Plan Galápagos 2030“. „Wir müssen über neue Formen von Produktion und Konsum nachdenken, um unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln und allem Lebensnotwendigen nachhaltig zu gestalten.“ 

18. Oktober 2021

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Die Pyramiden von Cochasquí

Wer beherrschte den Norden Ecuadors vor der Ankunft der Inka? Die Antworten der Historiker auf diese Frage sind mit vielen „vielleicht“ und „möglicherweise“ gespickt. Immer wieder werden dabei die Volksgruppen der Cayambe, der Caranqui, Otavalo und Cochasquí genannt, die seit ungefähr 500 n.Chr. die Gegend besiedelten. Der Kampf dieser Völker gegen die Eroberer aus dem Süden zog sich wohl über eine Reihe von Jahren bis zum Fall der Festung Pambamarca, vermutlich im Jahr 1505, hin. 

Die fünfzehn Pyramiden von Cochasquí nördlich von Quito sind der größte zusammenhängende Komplex präinkaischer Ruinen im Norden Ecuadors. Es wird angenommen, dass sie ab ca. 930 n.Chr. erbaut wurden. Ein leider etwas unscharfes Video des Fotografen Jorge Anhalzer zeigt die Ausdehnung der Anlage, die neben den Pyramiden noch 21 Grabstätten, sogenannte „Tolas“ umfasst. Unklar ist freilich, mit welcher Absicht die Pyramiden mit ihren mächtigen Rampen, die wie Zungen bis zu 200 Meter lang in das Land hineinragen, gebaut wurden. Wohn- und Herrschaftssitz der lokalen Stammesführer, Begräbnisort, zeremonielle Kultstätte, astronomisches Observatorium? Für alle Interpretationen gibt es Anhaltspunkte, die von verschiedenen Forschungsmissionen des letzten Jahrhunderts zusammengetragen wurden.

Ein einzigartiger Mondkalender auf einer Pyramide aus Vulkangestein und Lehm

Wer sich das Terrain auf dem vorgegebenen Rundweg zu Fuß erwandert, muss sich vom Parkplatz aus den Weg durch eine Herde von Lamas und Alpakas bahnen – für junge Familien sicherlich eine Attraktion. Schon von hier unten sind einige der flachen Pyramiden mit ihren Rampen erkennbar; alle sind sie nach Norden ausgerichtet. Errichtet wurden sie aus Chocoto, einem Gemisch aus Lehm, Wasser, Stroh und Exkrementen, das flach- und damit festgestampft wurde. Die Ränder der Plattformen sind mit Blöcken des Vulkangesteins Cangahua befestigt, das von einem etwa einen Kilometer entfernten Steinbruch hertransportiert wurden.

Zu sehen ist dies bei der weitgehend freigelegten Pyramide Nummer 13. Deutlich erkennt man die unter einer Grasnarbe verborgene Stufenstruktur. Spektakulär aber ist der auf der Plattform angelegte Mondkalender, der mithilfe der Sonne die Monate des Jahres anzeigte. Dreizehn aufrecht in kreisrunde Löcher eingelassene Holzpflöcke, die je nach Sonnenstand unterschiedliche Schatten warfen, standen offenbar für die dreizehn Mondzyklen im Jahresverlauf. 

Die Legende von der Herrscherin Quilago

Immer höher geht es dann hinauf, bis sich schließlich an klaren Tagen der Blick über das ganze Tal und auf das Panorama der umliegenden Berge öffnet – von den Puntas und dem Cayambe m Osten über den Rumiñahui bis zum Pichincha im Westen. Das ist der Moment, wo man sogar der Theorie unserer Reiseführerin Glauben schenken mag, dass Cochasquí ursprünglich auch als Festung konzipiert worden war. Die Legende von der Herrscherin Quilago (1485-1515), die den mit ihr liierten Inca-Fürsten Huayna Capac vergeblich in eine Falle zu locken versuchte,  der sie am Ende selbst zum Opfer fiel, klingt jedenfalls gut vor dieser Kulisse. 

Eindrucksvoll ist auch die Vogelschau auf die mit rund neunzig mal achtzig Metern größte Pyramide der Anlage, die Nummer neun. In ihre Flanke und Zentrum haben (Grab-)Räuber früherer Zeiten eine tiefe Wunde geschlagen, was schon der deutsche Archäologe Max Uhle während seiner Expedition im Jahr 1932 beklagte. Uhle fand in dieser Pyramide nur noch Hunderte menschlicher Schädel, die die Eindringlinge zurückgelassen hatten.

Koloss mit Wunden: Die Pyramide Neun

Cochasquí als Teil des Inka-Weges Quapac Ñan

Folgt man dem Rundweg weiter, trifft man auf einen Abschnitt eines alten Inka-Wegs, markiert durch ein andines Wegkreuz. Auch der Quapac Ñan, die vom Süden des Kontinents nach Norden führende Hauptstraße der Inka, führte über Cochasquí. 

Zwei in traditioneller Bauweise zu Museumszwecken errichtete Häuser geben einen Eindruck davon, wie die Bewohner dieses Landstrichs bis vor nicht allzu langer Zeit lebten: In einem Raum gemeinsam mit den zur Speise dienenden Meerschweinchen, die Feuerstelle direkt daneben, als Mittelpfeiler des fensterlosen Rundbaues der „Lebensbaum“, árbol de la vida. So ähnlich mögen die Rundhütten der lokalen Führer einst auf den Plattformen der Pyramiden gestanden haben. Dies lässt zumindest eine Skizze der „Gruppe Ecuador“ der Universität Bonn vermuten. Unter Leitung von Udo Oberem nahmen diese Forscher in den Sechzigern Jahren des letzten Jahrhunderts hier umfangreiche Ausgrabungen vor. 

Das zum Ausgang hin gelegene Museum zeigt, anders als beispielsweise im nahegelegenen Otavalo, Ausstellungsstücke, die zu einem großen Teil tatsächlich von hier stammen. Wie oft in Ecuador wäre der Besucher für mehr Information zu Verwendungszweck, Fundort und Datierung dankbar, aber die Präsentierung ist ansprechend, und die Führerin auf Nachfrage gut informiert. Und anschließend: Hühnersuppe oder Mais mit Käse? Und noch ein frischer Salatkopf für zu Hause? In den Büdchen und einfachen Restaurants neben dem Parkplatz gibt es gefühlt kein Corona mehr.

Von Quito aus gelangt man über die Panamericana in einer guten Stunde zum Parque Archeológico Cochasqui. Bei Kilometer 52, direkt hinter der Gebührenstation, links abbiegen, der Weg ist gut ausgeschildert. Besichtigung nur mit Führung; wochenends empfiehlt es sich, früh zu kommen, um den zahlreichen Großfamilien auf Sonntagsausflug zu entgehen.

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Nahe an der Schöpfung – rund um den Podocarpus Nationalpark

„Pancho, Pancho, komm her!“ Aber Pancho lässt sich lange bitten an diesem regennassen Morgen. Erst nach einer guten Stunde Wartens erklingt sein Ruf, der eher an ein dunkles Hundebellen erinnert als an einen Vogelschrei. Und dann kommt er höchstpersönlich. Auf starken grauen Beinen läuft er heran und widmet sich sofort den fetten Regenwürmern, die unser Begleiter Diego extra für ihn gesammelt, zerschnitten und in einer alten Waschpulverdose zum Futterplatz transportiert hat. 

Pancho und seine etwas schüchterne Frau Bibi gehören zur seltenen Art des Jocotoco Antpitta (Grallaria Ridgelyi) – eines Vogels, der fast ausschließlich im Reservat Tapichalaca im Südosten Ecuadors auf einer Höhe zwischen 2250 und 2700 Metern vorkommt. Rund 25 Paare leben hier, dazu noch einmal etwa zehn im benachbarten Nationalpark Podocarpus. Erst 1997 entdeckte der amerikanische Ornithologe Robert Ridgely diesen großen, fast schwanzlosen Vogel, der kaum fliegt und dennoch rund 30 Hektar Lebensraum für sich und seine Partnerin benötigt. Um diese Art zu schützen wurde 1998 die Stiftung Jocotoco gegründet, die heute 16 Reservate in ganz Ecuador verwaltet. 

In 20 Minuten in die nächste Klimazone

Wir sind auf einer mehrtägigen Reise rund um den Podocarpus Nationalpark. Ein Park, der sich über fast 150.000 Hektar in zwei Provinzen Ecuadors erstreckt und dabei vom subtropischen Urwald auf 900 Metern über Nebelwälder bei 2500 Metern Höhe bis zur kargen Landschaft des Páramo auf 3800 ein ganzes Spektrum von Klimazonen umfasst. Verbindendes Element in dieser Zeit des Jahres ist der Regen, der täglich mehrmals auf uns niederströmt. Der aber auch für die unendlichen Schattierungen an sattem Grün sorgt, wohin man auch blickt – hier ist nichts blass, zurückhaltend, diskret, sondern knallig, intensiv, raumgreifend. 

Kakao wurde vor 5500 Jahren bereits in Ecuador kultiviert

Nicht nur der ständige Wechsel von Höhe, Temperatur, Flora und Fauna raubt uns den Atem – es gibt auch faszinierende Geschichte zu entdecken. Von Tapichalaca ist es nicht weit bis zu den Ruinen von Santa Ana-La Florida nahe dem Dorf Palanda. Diese Begräbnis- und Kultstätte einer 5500 Jahre alten Kultur, der Mayo-Chinchipe-Marañón, wurde in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts durch Zufall bei Straßenbauarbeiten entdeckt. Zeugnisse derselben Kultur, die Beziehungen zur weit entfernten Küste Ecuadors pflegte, sind auch auf peruanischer Seite der heutigen Grenze an mehreren Orten zu finden. Am meisten Aufsehen erregte bei den 2002 begonnenen Forschungsarbeiten die Entdeckung von Kakaospuren in den als Grabbeigaben gefundenen Gefäßen. Anders als bis dahin angenommen, ist die Kakaopflanze wohl zuerst im heutigen Ecuador kultiviert worden und erst später nach Mittelamerika gelangt. 

Wo sich das Volk versammelte – Ausgrabungsstätte von Santa Ana – La Florida bei Palanda

Entspanntes Leben in Vilcabamba

Ganz andere Eindrücke erwarten die heutzutage wenigen Touristen im südlich gelegenen Städtchen Vilcabamba, wo den Gerüchten zufolge die ältesten Menschen Ecuadors leben. Zu dem Bild einer Stadt der fröhlichen Alten trägt vor allem die Präsenz zahlreicher amerikanischer Rentner bei, die das angenehme Klima, die niedrigen Lebenshaltungskosten und nicht zuletzt die Schönheit der Natur hierher gebracht haben. Da sind sie gerne bereit, auf die Annehmlichkeiten eines entwickelten Gesundheitssystems zu verzichten, und verlassen sich lieber auf tägliches Yoga, das obligatorische Amulett um den Hals und gesunde Ernährung. Kein Vier-Quadratmeter-Lädchen, in dem nicht neben den üblichen Bergen frischer Früchte lokal produziertes Müsli und organisches Kokosöl angeboten werden. „Und wissen Sie, die Coronamaßnahmen sind hier einfach nicht so strikt, das tägliche Leben ist viel angenehmer!“ So erzählt es ein älteres Ehepaar im arabischen Restaurant UFO, einem beliebten Treffpunkt der Internationalen, zentral neben der katholischen Kirche im ehemaligen Pfarrhaus samt Garten gelegen.

Und dann ist da noch der Podocarpus Nationalpark selbst. Seine zwei Zugänge liegen gut drei Fahrstunden und 1.600 Höhenmeter voneinander entfernt in zwei Welten. Der Nordeingang Cajanuma nahe Vilcabamba erweist sich als schwierig: „Montags sind wir wegen Desinfektion geschlossen“. Aber der Mittwoch ist nicht besser: „Nein, so spät – es ist viertel vor zwei am Nachmittag – dürfen Sie nicht mehr in den Park, wir haben neue Regelungen wegen der Pandemie“. Es reicht schließlich für eine kurze Runde durch wunderschöne Alleen, mit weiten Blicken in das angrenzende Tal – die Lagunenwanderung muss bis zum nächsten Mal warten.

Rüde Rückkehr in die Wirklichkeit

Den Podocarpus-Baum, die einzige endemischen Konifere Ecuadors, die eigentlich Blätter und keine Nadeln hat, sehen wir hier überraschend nicht, sondern erst einen Tag später am tropischen Ostrand des Parks bei Zamora. Während wir am Abend zuvor noch fröstelnd vor dem Ofenfeuer kauerten, begrüßen uns in Copalinga, dem jüngsten Reservat der Stiftung Jocotoco, sommerliche Temperaturen. Rote und gelbe Baumwurzeln durchziehen den Waldboden, leuchtend blühende Bromelien besiedeln jeden Ast. Nur mit den Vögeln haben wir hier weniger Glück – weder den erhofften Weißbrustsittich noch den Graufußtinamou bekommen wir zu Gesicht. Und auch ein Ausflug zum leider abseits aller Hauptstraßen gelegenen Informationszentrum des Volkes der Shuar endet unerwartet vor verschlossenen Türen.

Den Nationalpark verlassen wir schließlich nach Überwindung eines wenige Minuten zuvor gespannten gelben Absperrbandes: „Gefahr, Zutritt verboten“. Wieder neue Maßnahmen gegen die Pandemie, augenblicklich umgesetzt. Die Vertreibung aus dem Paradies geht nur allzuschnell.

08. April 2021

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Schutz von Kulturgut: Die Casa Museo Carangue

Die Prinzessin hat ein Bett aus verblichenem rotem Tuch. Womöglich war sie auch keine Prinzessin. So genau weiß man das nicht. Aber hier ruht sie nun, oder vielmehr das, was von ihr übrig ist nach vielleicht tausend Jahren. Sie liegt auf einem Podest in der Form einer abgeflachten steinerne Pyramide, in der Mitte einer strohgedeckten Rundhütte.

Die große Pyramide im Tal von Zuleta

Die flachen Pyramiden sind typische Bauwerke der Kultur der Caranqui. Unter diesem Namen werden heutzutage die Herrschaftsgebiete vor allem dreier Volksgruppen zusammengefasst, der Otavalo, Cayambe und der Caranqui selbst, die seit dem Jahr 700 zwischen den Flüssen Chota (im Norden) und Guayllabamba (im Süden) siedelten. Ungefähr ab 1470 wurde diese Verteidigungsgemeinschaft in einer rund zehn Jahre währenden Auseinandersetzung von den aufstrebenden Inka unterworfen. So groß war der Widerstandswille, dass einige der Kämpfer mit ihren Familien anschließend nach Peru zwangsumgesiedelt wurden.

Ein neuer Raum zur Darstellung der Caranqui-Kultur

Am 31. März dieses Jahres nun eröffnet in dem Dörfchen Zuleta südlich von Ibarra die neue „Casa Museo Carangue“ , das „Caranqui-Museum“. Amable Cachalo wird diese private Sammlung auf seinem Grundstück in einem eigens dafür errichteten Gebäude ausstellen. „Wir haben uns beim Bau an den Hütten orientiert, in denen die Stammesführer der Carangue lebten. Diese Rundhäuser standen zentral auf den flachen Pyramiden, die sie hier überall in unserem Tal finden können.“ Wer im Tal von Zuleta wandert, sieht sie: pyramidenförmige Anlagen mit oder ohne Rampe, von Gras überwachsen. Auf der größten Erhöhung ist aus der Luft deutlich die runde Fläche zu erkennen, auf der sich die Rundhütte eines Anführers befand.

„An solch einer Stelle haben wir auch die Knochen dieser Prinzessin gefunden. Nur die Mitglieder der führenden Familien durften im Zentrum der Pyramide begraben werden. Diese Kette hier war ihre Grabbeigabe.“ Amable zeigt die mehr als zwanzig Teile einer bronzenen Halskette, die neben dem Skelett gefunden wurden. 

Bis vor einem Jahr arbeitete der frischgebackene Museumsdirektor als Touristenführer für die nahebei gelegene traditionsreiche Hacienda Zuleta. Die im 17. Jahrhundert von Jesuiten gegründete Hacienda, Familiensitz des früheren Staatspräsidenten (1948-1952) Galo Plaza  ist eine der wenigen in Ecuador, die tatsächlich noch koloniale Gebäude besitzt.  Damit zieht sie in normalen Jahren erfolgreich zahlungskräftige ausländische Touristen an. Aber mit der Pandemie verlor Amable Cachalo seine Arbeit. Auf einmal hatte der Hobbyethnologe Zeit, sich intensiv seinem seit vielen Jahren gehegten Projekt zu widmen: Der Einrichtung eines eigenen Museums zur Caranqui – Kultur. 

Ohne die Familie geht nichts in Ecuador

Was tut man in Ecuador, wenn man etwas Größeres vorhat? Man bittet die erweiterte Familie und möglichst auch das ganze Dorf um Hilfe. Kein Problem für den in Zuleta verwurzelten Amable, „den Liebenswerten“, der zur Zeit Vizepräsident der  Dorfgemeinschaft ist. „Ich habe alle gebeten, mir Fundstücke zu stiften oder auch zu verkaufen, die sie im Familienbesitz hatten – Werkzeuge, Trinkgefäße und so weiter.“ So ist ein Museum entstanden, das mit gut erhaltenen Artefakten und Bildern die Geschichte einer Kultur, eines Dorfes und einer Familie zugleich dokumentiert.  Um staatliche Unterstützung hat der Museumsgründer vergeblich gebeten.

Eine beeindruckende Sammlung von vermutlich originalen Caranqui-Gefäßen steht hier neben dem von einem Verwandten gespendeten Webstuhl und einem Spinnrad, das von intensivem Gebrauch zeugt. Die Herstellung von Stoffen war schon bei den Caranqui Männersache: „Es gibt noch zwei Dorfbewohner in Zuleta, die weben können; ich möchte das selbst unbedingt lernen, damit diese Kunst nicht verloren geht“, sagt Amable.  Auf einem Foto an der Wand sind vier Frauengenerationen seiner Familie beim Besticken der hier typischen Textilien vereint: Deckchen, Tücher, Blusen.  Derselben Blusen, die man auf dem sonntäglichen Touristenmarkt erwerben kann,  heutzutage gleich mit den dazu passenden Masken.

Die erste Erweiterung ist schon geplant

Auffallend professionell ist das Museum binnen nur eines Jahres gebaut und ausgestattet worden, mit der Beratung durch zwei befreundete Archäologen. Selbst die sanitären Anlagen sind ästhetisch beeindruckend. Nur ein paar Erläuterungen zur Geschichte fehlen noch. Aber die erste Erweiterung ist schon geplant: „Ich möchte noch eine Küchenhütte bauen, so, wie wir sie bei den Ausgrabungen an verschiedenen Stellen gefunden haben. Es gibt so viele Fundstücke, die man ausstellen muss!“

Casa Museo Carangue, Zuleta: +593 98 942 8406, E-mail: achachalo@yahoo.com, Eintritt 5 $

Hacienda Zuleta: https://zuleta.com (sehenswert, aber Luxus; pandemiebedingt gibt es gelegentlich Sonderangebote)

10. März 2021

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La Herreria – Familienhacienda und Museum

Milo läuft schwanzwedelnd durch die Kapelle. Der Deutsch-Kurzhaar ist gebürtiger Straßenhund, passt aber perfekt in das barocke Ambiente der Hacienda La Herreria im Valle de los Chillos nahe Quito. „Kolonial“ ist hier nicht, wie sonst häufig in Ecuador, nur ein anderes Wort für „etwas älter“:  Die ersten Gebäude der Hacienda wurden vermutlich im 16. Jahrhundert errichtet. Nach der gängigen Darstellung ließ Miguel Ponce de León La Herreria in ihrer heutigen Gestalt seit etwa 1750 bauen. Da Miguel selbst aber erst 1756 das Licht der Welt erblickte, hat er tatsächlich wohl frühestens 1782, nach seiner Heirat, mit dem Bau begonnen. 

Mit Ausnahme einer kurzen Periode blieb die Hacienda immer in den Händen derselben Familie. Heute verfügt sie nicht mehr über große Ländereien wie in früheren Zeiten, als hier viel Mais angebaut wurde und es florierende Werkstätten für Schmiedewaren gab (daher die Bezeichnung als „Herreria“). Aber die parkartige Anlage mit der breiten Auffahrt, dem prächtigen Haupthaus, den freundlichen Innenhöfen ist auch so mehr als beeindruckend. 1989 diente sie als Drehort für einige Szenen des Humboldt-Films der DEFA „Die Besteigung des Chimborazo.“

Dolores Gangotena, Künstlerin und Sammlerin

Adriana Ponce Tobar und ihr Vater Camilo begrüßen uns am Fuß der spektakulären konvex-konkaven Freitreppe, einer Replik des Aufgangs zur Kirche San Francisco in Quito, die zu der breiten, säulengesäumten Vorhalle emporführt. Adriana erzählt uns die jüngere Geschichte der Hacienda: „Meine Großmutter Dolores Gangotena bezog Anfang der Vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts gemeinsam mit Ihrem Mann, dem späteren Staatspräsidenten Camilo Ponce Enríque, dieses Haus. Sie hatte, das war ungewöhnlich für eine Frau ihrer Zeit, an der Akademie der Schönen Künste in Quito studiert, und war eine fanatische Sammlerin.“ 

In den 1950er Jahren, in denen viele der kalten, zugigen und unpraktischen Hacienden des Hochlandes von Ecuador verfielen oder schlichtweg abgerissen wurden, kaufte „Lola“ Gangotena Gemälde und religiöse Skulpturen, auch Möbel, Türen und ganze Altäre aus adligen Häusern und Klöstern und richtete damit die Räume für Ihre große und einflussreiche Familie ein. Zu Zeiten des Staatspräsidenten Camilo Ponce (1956-1960) fanden hier zuweilen auch Kabinettssitzungen statt, weil der eigentlichen Präsidentenpalast im Zentrum Quitos auf Wunsch des neuen Staatsoberhauptes zunächst aufwendig umgebaut werden musste.

Ein privates und sehr ecuadorianisches Museum

Tod und Leben – Schmuck im Speisesaal

Was der heutige Besucher der Hacienda sieht, ist eine mit Kenntnis und nach Vorlieben der Kunstsammlerin Lola Gangotena zusammengestellte Einrichtung: einerseits wertvolle Möbel und Kunstgegenstände, andererseits solche, zu deren Herkunft oder Hersteller die Hausherrin einen besonderen Bezug hatte. Künstler der barocken „Schule von Quito“ sind hier mit Gemälden vertreten; das vermutlich aus dem 19. Jahrhundert stammende Buffet im Speisesaal zieren bunte Früchte aus dem Tiefland Ecuadors; die als Dekoration dienende Tür mit dem zweikammrigen flammenden Herz an der Schmalseite des Raumes war ursprünglich der Eingang zur Klausur eines hiesigen Konvents. Das Herz Jesu als Gegenstand der Verehrung ist im Haus der dem Orden der Franziskaner verbundenen Matriarchin omnipräsent: Beeindruckend und auf gewisse Weise skurril ist der herzförmige geschnitzte Teneberleuchter mit fünfzehn Kerzen – eine für Jesus in der Mitte, elf für die Apostel, drei für die drei Marien, die den Jüngern von der Auferstehung berichten.

Barockes Bett als Piratenschiff, Geheimgang zum Pferdestall

Da die Religion eine wichtige Rolle spielte, beeinflusste sie auch die Verteilung der Räume. Das Schlafzimmer der 1994 verstorbenen Großmutter befand sich direkt neben Kapelle und Sakristei. Das barocke Alkovenbett diente Adriana, ihren Geschwistern und Cousins bei ihren wochenendlichen Besuchen zugleich als Piratenschiff („und die gepolsterten Hocker hier waren Inseln, die wir erobern mussten!“). Kühl ist es in den Räumen, die geschmiedeten Feuerschalen in allen Zimmern sind nicht nur zur Dekoration da. Mir gefällt besonders der Geheimgang: Anderthalb Meter über dem steinernen Boden des Schlafzimmers befindet sich der durch eine kleine Tür verdeckte viereckige Eingang. Wer in früheren Zeiten bei drohender Gefahr hineinkroch, kam schließlich am Rande des Wirtschaftshofes, direkt neben dem riesigen gemauerten Backofen, wieder heraus. Nur noch ein paar Schritte zum Stall, und er konnte auf dem Pferderücken das Gelände rasch verlassen – sofern ihn die gackernden Hühner und Enten nicht verrieten. 

Hacienda La Herreria,Valle de los Chillos Pasaje Ñato Oc y calle A, sector Amaguaña (in Amaguaña auf der Hauptstraße Huancavilka bleiben, hinter der Incubadora Anhalzer schräg links einbiegen, dem gepflasterten Weg ca. 500 m folgen)

Besuch auf Anmeldung: Adriana Ponce Tobar, Tel. 00593 (0)99 798 59 87

20. Januar 2021

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Denk an Deine Maske, Kleines – Neujahr am reglementierten Strand

Im deutschen Reiseführer taucht die Siedlung Casablanca als Fußnote zum beliebten und belebten Badeort Atacames auf: „Falls Sie es etwas ruhiger möchten, machen Sie einen Abstecher in das wenige Kilometer entfernte Dörfchen Same: dort finden Sie einen schönen Sandstrand mit Palmen, und die geschlossene Feriensiedlung des „Club Casablanca“.  In diesem Corona-Jahr wollte es vor allem die ecuadorianische Regierung zu Weihnachten und Neujahr etwas ruhiger und verkündete am 21. Dezember mit sofortiger Wirkung neue rigide Beschränkungen: Sperrung aller Strände am 24./25. Dezember sowie an Silvester und Neujahr, Sperrstunde ab 22.00 Uhr, Autofahren zum und vom Urlaubsort je nach geradem oder ungeradem Kennzeichen nur an jedem zweiten Tag. Und natürlich, aber das gilt ja seit März, Maskenpflicht immer und überall, wie im Auto so auch unter dem Sonnenschirm.

Weihnachten und Silvester am Strand, aber ohne Party mit der erweiterten Familie und dem größeren Freundeskreis? Undenkbar für viele Quiteños. Viele Bekannte in Quito optieren deshalb gleich für die Familienfeier in den eigenen vier Wänden oder im Garten und lassen den Strand Strand sein. In dem Vertrauen darauf, dass viele Dinge hier nicht so heiß gegessen wie gekocht werden, und dass wir zumindest das richtige Autokennzeichen für die von uns gewählten Reisetage haben, machen wir uns dennoch vier Tage vor Jahresende auf den Weg. 

Keine Zelte erlaubt? Dann bauen wir Sonnensegel

Im Feriendomizil angekommen, die Koffer geleert, die Strandhandtücher bereit, brechen wir auf zum Wasser, das direkt vor der Haustür wartet. Nur wenige Meter trennen uns von der ersehnten Strandliege im Schatten, aber: „Vorhin ist die Militärpolizei durchgekommen“, sagt uns der nette Strandwart. „Wir dürfen keine Zelte mehr aufbauen, und die Stühle müssen auch weg ab 15.00 Uhr“. Es ist 17.30 Uhr, ohnehin wird bald die Dämmerung einbrechen. Seufzend lassen wir uns direkt in den Sand sinken. Der Sonnenuntergang ist auch so schön.

Am nächsten Vormittag herrscht bei strahlendem Himmel entspanntes Treiben am Wasser. Paare führen gemeinsam den Hund spazieren, Kinder buddeln Löcher bis zur Mitte der Erde, die Jugend spielt Volleyball, zehnköpfige Familien bauen die Plastikstühle neben den Kühlboxen auf. Wo die am Tag vorher inkriminierten Zelte standen, werden jetzt kunstvoll Sonnensegel improvisiert, die sind ja schließlich nicht verboten. Die jungen Frauen, die gegen die Vorschrift Massagen und das Flechten von Zöpfchen anbieten, tragen Maske, alle anderen eher nicht. Leben und Leben lassen, scheint das Gebot des Ortes – und wenn man ehrlich ist, ist dafür auch nach Corona-Maßstäben Platz genug.

Silvesternachmittag kommt das Militär noch einmal mit zehn Mann hoch vorbei: „Sie wissen ja, dass sie nicht hier unten am Strand sitzen dürfen“? Ein Augenzwinkern, und geflissentlich ziehen sich die Nachbarn hinter die niedrige Mauer zurück, die den Vorgarten vom Strand trennt. Der Abend ist ja noch lang. Erst einmal das Abendessen mit der Familie, alle Fenster auf und die Musik an. Fast verpassen wir, dass ja schon Mitternacht ist. Da Feuerwerk in diesem Jahr ohnehin verboten ist, sagt einem kein Böllerlärm, wann man wieder vor dem Haus zu sein hat. Stattdessen steigen viele kleine papierne  Heißluftballons in die Luft, rot schimmernde Leuchtpunkte, die allmählich über dem Meer verschwinden. 

Es lebe die Improvisation – sonst ist kein Leben

Ecuadorianer sind Meister darin, sich zu arrangieren. Grillen am Strand wäre ein zu offensichtlicher Regelverstoß? Dann wird das gute Rind eben gleich neben der Garage gebraten, zwischen Plastikmöbeln und zurückgelassenen Sonnenschirmen. So können auch die von einem letzten Strandspaziergang – trotz Sperrstunde, aber die im Dunkeln sieht man nicht – heimkehrenden Nachbarn noch ein Schlückchen mittrinken. Und irgendwie läuft das alles trotz Distanz und den üblichen Corona-Diskussionen noch entspannt ab.

Am letzten Tag freilich gibt es dann doch noch einen der von den Autoritäten gefürchteten Menschenaufläufe, eine „aglomeración“: Unmittelbar vor unserem Strandzugang sind 77 kleine Meeresschildkröten geschlüpft und möchten zum Wasser. Julian aus dem ersten Stock greift zum Spaten, gräbt einen Korridor, ruft „Abstand halten!“, achtet darauf, dass alle Neugeborenen in die richtige Richtung laufen, keines zurückbleibt oder von einem begeisterten Kind adoptiert wird. Und da ziehen dann doch alle, Erwachsene und Kinder gleichermaßen, die Maske aus der Tasche und wollen von Nahem zuschauen. 

Voller Hoffnung auf die Zukunft

Vor Weihnachten waren die Neuinfektionen in  Ecuador mit seinen 17 Millionen Einwohnern auf etwa 500 pro Tag gesunken. Inzwischen allerdings sind es wieder über tausend Infizierte täglich. Ob die irgendwo in Casablanca am Neujahrsmorgen stattfindende Party, die sogar den penetrant krähenden Hahn auf dem Nachbargrundstück übertönte, oder ähnliche Feiern im ganzen Land noch schlimmere Folgen hatten? In zwei Wochen werden wir es wissen.

03. Januar 2021

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Hacienda ohne Gott – Guachalá bei Cayambe

Es ist die Zeit der Agapanthus-Blüte im Norden Ecuadors. Die kugeligen blauen Dolden säumen die Fassade der Hacienda Guachalá, leuchten durch die Büsche vor der ochsenblutrot gestrichenen  Kirche. Neptalí Bonifaz ließ sie 1938 erbauen, der erste Präsident der Zentralbank von Ecuador und gewählte Staatspräsident des Jahres 1931, der sein Amt nicht antreten konnte, weil das Parlament ihm aufgrund seiner peruanischen Herkunft nachträglich die Eignung absprach. Die Folge waren die blutigen Unruhen des sogenannten „Vier-Tage-Kriegs“, nach dessen Ende Bonifaz resignierte und sich nach Guachalá („entlegenes Land“ auf Kichwa) zurückzog.

Die wohl älteste Hacienda Ecuadors besitzt seit 1580 eine Kapelle, deren Mauern zum Teil wohl noch auf das ursprüngliche Bauwerk zurückgehen. Im Innern allerdings herrscht staubige Leere: Angeblich lud der frühere Besitzer Juan Manuel Lasso, aus alter Familie und zugleich von der Idee einer sozialistischen Revolution in Ecuador bewegt, in den Jahren nach 1922 regelmäßig zu ausschweifenden Festen in das Gotteshaus. Neptali Bonifaz, der Guachalá kurz darauf erwarb, konnte oder wollte die Kapelle nach dieser Profanisierung nicht mehr nutzen und ließ die neue zweitürmige  Kirche errichten. Auch diese wird allerdings seit 1966 nicht mehr gebraucht und dient als Ausstellungsraum für eine etwas in die Jahre gekommene Sammlung historischer Fotografien aus der Hauptstadt Quito.

Gastgeber mit schillerndem Lebenslauf: Diego Bonifaz

In dem gerade richtig großen gepflasterten Innenhof, in dessen Mitte das Kreuz durch eine indigene Kultfigur der Cayambe-Kultur ersetzt wurde, welken die Callia. Es ist ein etwas maroder Charme, der einem auf der Hacienda überall begegnet. 1993 hat die Familie Bonifaz hier ein Hotel und Restaurant eröffnet. Heute, am ersten Feiertagswochenende seit Beginn der Corona-Pandemie, an dem Autofahren ohne Einschränkungen erlaubt ist, füllen sich die Tische rund um den Hof schnell. „Entschuldigung, wir haben für vierzehn Personen reserviert, wo sollen wir sitzen?“, fragt ein unruhiger Familienvater die Kellnerin. Treffen mit der Familie unterliegen, so das allgemeine Empfinden, nicht den in Ecuador sonst rigiden Corona-Regeln. 

„Wir sind die einzigen, die hier in der Gegend Tische draußen anbieten, da kommen die Leute natürlich alle hierher – aber ich muss einige wegschicken, das sind zu viele!“. Diego Bonifaz, der den Hotelbetrieb leitet, lebt selbst in einem gepflegten Nebengebäude der Hacienda. Klein, braungebrannt, den Schalk im Nacken, wirkt er mit seinen Mokassins und dem beigefarbenen Hoodie wie das Spitting Image des linken Adeligen, als den ihn die hiesigen Medien gerne porträtieren. Der in den USA ausgebildete Sohn eines früheren ecuadorianischen Botschafters in Frankreich wollte eigentlich katholischer Priester werden, brach aber in seinen Teenagerjahren endgültig mit der Kirche. 

Hier wohnte schon Gabriel Garcia Moreno

Die Geschichte der Hacienda Guachalá ist reich an schillernden Gestalten, da fällt ein Diego Bonifaz, der von 2000 bis 2011 für die Indigenen-Partei Pachakutik Bürgermeister von Cayambe war, und der die Wände seiner Bibliothek weniger mit Büchern als mit persönlichen Auszeichnungen und Diplomen schmückt, nicht groß auf. Teilnehmer der französischen Geodäsie-Mission unter Charles-Marie de la Condamine, die unter anderem die Äquator-Linie markierte, sollen in der Hacienda 1736 ihr Quartier aufgeschlagen haben. Der 1875 ermordete Staatspräsident Gabriel Garcia Moreno verbrachte hier ebenso einige Jahre als Mieter wie der gleichfalls durch ein Attentat ums Leben gekommene deutschstämmige Oberst Adolf Klinger, der in Europa für Napoleon und anschließend in Lateinamerika für Simón Bolívar kämpfte. Groß und reich war die Hacienda in ihren besten Zeiten – „no te pido Guachalá“ („Ich verlange ja nicht Guachalá von dir!“, sprich: „ich möchte nichts Unmögliches“) wurde Ende des 19. Jahrhunderts in Ecuador zum geflügelten Wort.

Wer heute in den Gästezimmern mit den hohen Decken übernachtet, freut sich nach einem Essen in der kalten Abendluft auf den mit reichlich Feuerholz ausgestatteten privaten Kamin. Im Schein des lodernden Feuers wirken auch die Drucke berühmter Gemälde des europäischen Barock, die mit Büroklammern in den preiswerten Bilderrahmen an den Wänden befestigt sind, ganz und gar richtig am Platz. Ausflüge zu Pferd (Diego Bonifaz ist ein bekennender Pferdenarr) gehören zum Programm dazu. Und am nächsten Tag lohnt der Weg in das nur einen Kilometer entfernte Quitsa To, wie die Mitte der Welt auf Kichwa heißt – hier ist es, anders als im überfüllten Freizeitpark von Mitad del Mundo, tatsächlich die Äquatorlinie, auf der man sich befindet und kundige Erklärungen von Mitarbeitern des Museumsprojektes erhält.

Hacienda Guachalá, Cayambe, Panamericana Norte km 45, www.guachala.com

Quitsa To, Panamerikana Norte, 7 km vor Cayambe, ca. 1 Stunde von Quito

15. Oktober 2020

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Reisen

In den Weiten des Páramo – die Hacienda Yanahurco

Der grüne Käfer liegt rücklings auf den Fliesen und zappelt mit den Beinen. Draußen regnet es; es ist kalt in unserem blauen Häuschen auf 3.600 m Höhe. Für die letzten 22 Kilometer des Wegs durch den Cotopaxi-Nationalpark haben wir mit dem Geländewagen anderthalb Stunden gebraucht. Nördlich des eigentlichen Vulkans Cotopaxi,  zwischen den „media naranjas“, an Orangenhälften erinnernden erstarrten Lavablasen, war die Landschaft noch wie von einer sandfarbenen Polsterschicht überzogen gewesen. Im Laufe der Fahrt wurde sie dann immer farbenreicher, wilder und lieblicher zugleich. Viele Gatter waren auf dem Weg zu öffnen und zu schließen, einige unerwartete Abzweigungen zu nehmen, manche Furt zu durchfahren. 

Unsicher hatten wir dann vor dem letzten Tor gestanden, bis uns eine Anwohnerin erspähte, durch die tiefen Pfützen watete und uns hineinließ. Aber hier sind wir jetzt, auf der Hacienda Yanahurco, mit 260 000 Hektar der größten in privater Hand befindlichen Hacienda Ecuadors. Yanahurco wurde im 18. Jahrhundert gegründet und besteht heute aus einer Handvoll niedriger, strohgedeckter Häuser am Rande eines sich windenden Flusses; die meisten Gebäude sind für Besucher vorgesehen. Offenbar haben nicht nur wir die Gelegenheit ergriffen, der trüben Stimmung und dem durch die Corona-Schutzmaßnahmen eingeschränkten Leben in der Hauptstadt Quito zu entfliehen, wie uns die hie und da parken Autos zeigen.

Freiheit von der Stadt und von der Maske

Masken werden hier, gegen die Vorschrift und in schweigendem Einverständnis, nicht verlangt; aber unsere warmen Jacken behalten wir gleich an, während wir uns mit dem in die Jahre gekommenen Gasherd bekannt machen. Kurz bevor das Tageslicht ganz verschwindet, springt auch der Generator an und mit ihm die Energiesparlampen in der schlichten Küche. Zeit für ein schnelles Abendessen, und anschließend sogar warmes Wasser zum Abwaschen, bevor der Strom wieder erlischt und die Kälte uns unter die steifen Wolldecken unserer Betten treibt

Als wir am nächsten Morgen früh aufstehen, herrscht vor der Haustür schon Leben. Ernesto und Manuel, die auf der Hacienda alle täglichen Arbeiten verrichten, haben von den umliegenden Hängen die 22 Pferde herabgeholt, die nun innerhalb des aus Lehm gemauerten Walls grasen, wo einmal jährlich die Rinder der Hacienda zur Zählung zusammengetrieben werden. Dieses Rodeo ist in normalen Jahren eine Attraktion für Touristen, die dafür erkleckliche Summen bezahlen. Aber in diesem Jahr kam Corona, das Ereignis wurde, wohl wegen der damit verbunden feuchtfröhlichen Feiern, verboten. Kein Rodeo, keine Besucher, keine Einnahmen.

Ernesto reitet mit uns aus; ein ruhiger, bedächtiger Bergbewohner, dem kein Wort zu viel über die Lippen kommt. Die traditionellen steifen Lederhosen der Chagras, der Hochland-Viehhirten, sind bei ihm Alltagskleidung, schützen gegen Regen und Kälte gleichermaßen. Den dazugehörigen Streifenponcho hat er heute auf den Sattel geschnallt, auf dem Kopf sitzt der dunkle Filzhut. Die kleinen Hochlandpferde sind das Auf und Ab mit unterschiedlich reiterfahrenen Touristen gewöhnt, folgen brav den manchmal kaum erkennbaren Pfaden. 

Herb und grau oder bunt und lieblich – die vielen Gesichter des Páramo

„Langweilig grau“ nennt unser Sechzehnjähriger die Landschaft – wir Erwachsenen hingegen können uns an den ineinander übergehenden Farben der Vegetation nicht sattsehen. Die auf dieser Höhe typische Páramo-Landschaft, teils nur mit langen Grasbüscheln bedeckt, oder mit dunkelgrünen Büschen, dann wieder mit orange-gelb-grasgrün leuchtenden Flechten oder solchen mit winzigen Blüten bewachsen, kann man sich schöner nicht vorstellen. Hinter den sich immer wieder neu öffnenden Flusstälern, über den schroffen Wänden der Canyons, thront, ab und zu auch für uns sichtbar, der schneebedeckte Cotopaxi. Neben dem Vulkanriesen wirkt der benachbarte Quilindaña, dessen Gipfel sich zackig vor dem Himmel abzeichnet, mit seinen 4878 Metern bescheiden.

Sechs Stunden sind wir so unterwegs, an Berghängen, durch Wasserläufe, über Wiesen, dann schmerzen die Knie. Unsere Mädchen lassen es sich trotzdem nicht nehmen, auf den letzten Metern noch einmal zu galoppieren; zu gemächlich war ihnen das Tempo während des Tages. Breitbeinig steigen wir von unseren Pferden und aus den Gummistiefeln. Die der Natur überdrüssige Jugend zieht sich unter die Decken im kalten Haus zurück, wir Erwachsenen genießen die Wärme der letzten Sonnenstrahlen vor einem kurzen Abend. 

Am nächsten Morgen begrüßt uns der Cotopaxi in gestochener Schärfe gegen den blauen Himmel. Die Sicht ist spektakulär, die Kälte auch. In der Morgensonne dampfen die raureifüberzogenen Wiesen. Pferde, Kühe und Hirsche mischen sich auf den Hängen rund um das Tal. Ein neuer Tag im Hochland beginnt. Der grüne Käfer hat sich davon gemacht.

07.09.2020

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